Schwein-09 - Progressive Rhinitis atrophicans, Sarcoptes-Räude

 

Krankheitsbericht

 

 

 

 

1. Signalement

 

Bei dem zu untersuchenden Tier handelt es sich um ein 140 kg schweres Mastschwein einer Hybridrasse weiblichen Geschlechts. Es ist etwa ein Jahr alt.

Angeborene Kennzeichen konnten nicht gefunden werden.

An erworbenen Kennzeichen hat das Schwein am linken vorderen Ohrrand eine Kerbe und es hat einen auf etwa 10 cm gekürzten Schwanz. Außerdem trägt es drei Ohrmarken: Rechtes Ohr: Eine gelbe Ohrmarke mit der x und eine weitere gelbe Ohrmarke mit der Aufschrift x; Linkes Ohr: Eine gelbe Ohrmarke mit der Aufschrift x.

 

 

2. Anamnese

 

Das Schwein hat einen schiefen Kopf.

 

 

3. Status praesens

 

Ernährungszustand:

Der Ernährungszustand ist als sehr gut zu bezeichnen.

 

Verhalten:

Beim Betreten des Stalles schlief das Tier, ließ sich jedoch aufwecken und nahm dann sehr aufmerksam an seiner Umgebung teil. Im Vergleich zu den anderen Tieren im Stall legt es sich schnell nieder. Gelegentlich kratzt oder schubbert es sich. Bei den Untersuchungen war das Schwein freundlich und recht kooperativ.

 

Körperinnentemperatur:

Die rektal gemessene Körperinnentemperatur betrug 38,4°C.

 

Haut und Haarkleid:

Die Haut ist von einer blaß-rosa Farbe und gleichmäßig mit Haaren bis zu einer Länge von 4 cm behaart. Am Hals, hinter den Ohren und an der Schulter ist die Haut leicht gerötet und trägt dunkelrote Punkte. Ein Juckreiz ist vorhanden. Die Hautelastizität ist normal. Die Körperoberfläche ist gleichmäßig warm am Rumpf, die Gliedmaßen sind etwas kälter.

 

Kreislaufapparat:

Die Herzfrequenz beträgt 76 Schläge/min. Die Herztöne sind regelmäßig, deutlich von einander abgesetzt und rein. Sie sind etwas gedämpft, was vermutlich auf den sehr guten Ernährungszustand zurückzuführen ist. Der Herzstoß ist fühlbar. Die Pulsfrequenz ist der des Herzens äquivalent. Die Konjunktivalschleimhaut sind kirschrot, feucht und glatt, die Episkleralgefäße sind etwas verwaschen.

 

Atmungstrakt:

Die Atemfrequenz beträgt 12 Atemzüge/min, die Atmung ist regelmäßig und sehr tief. Der Atemtyp ist costo-abdominal. Gelegentlich schnieft das Tier. Die Rüsselscheibe ist feucht, rosa und leicht behaart. Der Nasenrücken ist verkürzt, die Haut darauf ist in Falten gelegt.

Die Atemgeräusche im Bereich der ventralen und mittleren vorderen Lungengrenze sind auskultatorisch als normal anzusehen, im Bereich der dorsalen vorderen Lungengrenze ist ein Nebengeräusch zu hören. Im Bereich der Trachea ist ein Rasselgeräusch auskultatorisch festzustellen.

 

Verdauungstrakt:

Futteraufnahme und Wasseraufnahme ist gut. Kot wurde nicht abgesetzt. Die Aftergegend ist sauber. Die Bauchdecke ist mäßig gespannt.

 

Harn- und Geschlechtsapparat:

Das Tier setzt spontan Harn ab, der gelb und klar ist.

Die Vulva ist klein und gefältelt, die Schleimhaut blaß-rosa, feucht, glatt und glänzend. Am Gesäuge sind beiderseits 7 Zitzen ausgebildet, auf der linken Seite befindet sich zwischen der 2. und 3. Zitze noch eine Nebenzitze. Drüsengewebe ist vermehrt bei den kaudalen Komplexen palpabel, die Konsistenz des Drüsengewebes ist weich-elastisch. Die Gesäugelymphknoten sind palpabel und ca. 1-2 cm stark und ca 5 cm lang.

 

Bewegungsapparat/Skelett:

Das Tier belastet alle vier Gliedmaßen gleichmäßig und ist in der Lage, schnell und ohne Probleme aufzustehen. Der Bewegungsablauf ist normal. Gelenke und Klauen zeigen keine Veränderungen. Durch den verkürzten Oberkiefer hat das Tier einen leichten Unterbiß. Die Schädelform gleicht einem gleichseitigem Dreieck.

 

Nervensystem und Sinnesorgane:

Das Tier ist aufmerksam und reagiert auf Geräusche. Lid- und Analreflex sind auslösbar, die Hautsensibilität ist überall vorhanden. Die Augen sind in ihrer Umgebung sekretverschmiert. In beiden Ohren finden sich bräunliche, teilweise abkratzbare Beläge.

 

 

4. Zusammenfassung krankhafter Befunde

 

1.   Veränderung der Kopfform im Zusammenhang mit der leichten Dyspnoe (Schniefen)

2.   Hautveränderungen im Hals und Schulterbereich im Zusammenhang mit dem       Juckreiz

 

 

5. Diagnosen

 

zu 1.: Progressive Rhinitis atrophicans

Die progressive Rhinitis atrophicans ist eine Entzündung der Nasenschleimhaut. Sie ist infektiös, tritt in der Regel enzootisch auf und führt nach einem chronischem Verlauf zur Atrophie der ventrale Nasenmuschel und zur Verformung der angrenzenden Knochen.

Der entscheidende pathogenetische Faktor ist die Infektion mit toxinbildenden Stämmen von Pasteurella multocida. Eine weitere wichtige Rolle spielt Bordetella bronchioseptica. Ihm wird eine Schrittmacherrolle bei der Ansiedlung der Pasteurellen auf der Nasenschleimhaut zugesprochen. Ungeklärt ist, ob weitere in der Nasenschleimhaut vorkommende Keime, wie z.B. Mycoplasma hyorhinis oder das Zytomegalievirus das Krankheitsgeschehen beeinflussen.

Die Übertragung erfolgt aerogen, eine Übertragung durch Vektoren ist noch nicht erforscht. In der Nasenhöhle verursachen die Pasteurellen eine katarrhalisch-eitrige Entzündung der Schleimhaut und eine Hemmung der Osteoblasten. Durch die normal fortgesetzte Osteoklastentätigkeit wird der Knochen fortlaufend abgebaut und bindegewebig ersetzt. Es kommt zur Nasenmuschelhypoplasie und Knochendeformationen. Das klinische Bild ist im Anfangsstadium durch Niesen und geringgradigen, serösen Nasenausfluß gekennzeichnet. Durch die Verkürzung des Oberkiefers kommt es zu einer Brachygnathia superior, wobei sich die Haut auf dem Oberkiefer in Falten legt. Bei schweren Verlausformen kann es zu Nasenbluten kommen. Erkrankte Tiere haben eine schlechtere Futterverwertung und somit weniger Zunahmen.

Die Diagnostik erfolgt beim chronisch erkrankten Tier klinisch über die pathognomonische Verkürzung des Oberkiefers, und pathologisch über die Beurteilung von Querschnitten der Nase. Zusätzlich müssen bakteriologische Untersuchungen von Nasentupferproben zur Bestätigung der Diagnose durchgeführt werden.

Die progressive Rhinitis atrophicans spielt als Einzeltiererkrankung keine große Rolle, sie ist ein Bestandsproblem.

 

zu 2.: Sarcoptes-Räude

Die Sarcoptes-Milbe kommt in allen Schweinebeständen vor, die keine ausreichenden Bekämpfungsmaßnahmen durchführen. Die Milben bohren sich in das Stratum germinativum der Haut, und führen so zu einer Dermatitis und zur Hyperkeratose. Der Juckreiz wird wahrscheinlich durch Sensibilisierungsvorgänge hervorgerufen. Die Übertragung erfolgt über Kontakt von Tier zu Tier. Die Diagnostik erfolgt über das klinische Bild und in Zweifelsfällen kann ein Hautgeschabsel entnommen werden. Darin lassen sich aber verhältnismäßig wenig Milben finden.

 

 

6. Differentialdiagnosen

 

zu 1.:    a) Einschlußkörperrhinitis

Im fortgeschrittenem Stadium der progressiven Rhinitis atrophicans ist das klinische Bild der Oberkieferverkürzung pathognomonisch. Im Anfangsstadium kann eine Einschlußkörperrhinitis ein ähnliches Bild haben. Ein Abgrenzung kann über Nasentupferproben und den Nachweis von toxigenen Pasteurellastämmen erfolgen.

 

           b) Angeborene Knochenmißbildung

Kann durch den Vorbericht abgeklärt werden, im Zweifelsfall Klärung durch Nasentupferprobe.

 

           c) Rassebedingte Schädelform

Schweine der Rasse Yorkshire haben einen leicht nach oben gekrümmten, kurzen Oberkiefer, auf dem die Haut in Falten gelegt ist. Zusätzlich haben sie Stehohren, was als Unterscheidungskriterium dienen könnte.

 

           d) Folgen einer eitirigen Pulpitis

Wenn den Ferkeln die Eckzähne abgekniffen werden, kann es durch die eröffnete Pulpahöhle zu einer eitrigen Pulpitis kommen, die bei einem schlimmen Verlauf auch eine Deformation der Gesichtsknochen zur Folge haben kann.

 

zu 2.:    a) Parakeratose

           b) Staphylococcus-Infektion der Saugferkel

           c) Biotinmangel

           d) Sonnenbrand

           e) Insektenstiche

 

 

7. Prognose

 

zu 1.:

Für das Einzeltier ist die Prognose in Hinblick auf die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung gut. Die Erkrankung verläuft nicht tödlich und bei einem Masttier würde man auch von einer Merzung absehen, da das Tier zwar länger gemästet werden muß, bis es das Schlachtgewicht erreicht, aber trotzdem noch der Schlachtung zugeführt werden kann.

 

zu 2.:

Die Prognose im Hinblick auf eine vollständig Heilung bei korrekt durchgeführter Therapie ist gut.

 

 

8. Theraphievorschlag und Prophylaxemaßnahmen

 

zu 1.:

Die Einzeltierbehandlung spielt bei der Bekämpfung der Erkrankung keine Rolle. Die Verformung der Kopfknochen ist irreversibel, erkrankte Tiere werden weiter der Schlachtung zugeführt.

Die progressive Rhinitis atrophicans ist ein Bestandsproblem. Eine Therapie eines betroffenen Bestandes würde also darauf zielen, den Bestand von dem Erreger zu befreien. Dies ist aber trotz einer Verbindung von chemotherapeutischen, immunologischen und hygienischen Maßnahmen nicht möglich. Ein betroffener Zuchtbetrieb müßte also zur Vermeidung der Infektionsausbreitung den Tierbestand merzen und neu aufbauen.

Man kann also durch die oben genannten Maßnahmen nur eine Eindämmung des Infektionsgeschehens erreichen. Da es sich bei der Erkrankung um eine sogenannte Faktorenkrankheit handelt, muß zunächst die Umwelt optimiert werden. Wichtige Faktoren, die die Verbreitung der Krankheit begünstigen, sind der Schadgasgehalt der Stalluft, die Luftfeuchtigkeit, der Staubgehalt und Zugluft. Außerdem muß die Stallhygiene sorgfältig eingehalten werden. Weitere Prophylaxemaßnahmen betreffen das Management im Stall: Trennung der einzelnen Bereiche im Stall (Abferkelstall, Absatzferkel, usw.), die nach dem alles rein-alles raus-Verfahren belegt werden sollten. Eine medikamentelle Prophylaxe besteht einerseits aus der chemotherapeutischen Behandlung von Sauen und Ferkeln, andererseits aus der aktiven Immunisierung der hochtragenden Sauen.

Bestände, die nachgewiesenermaßen frei von der Erkrankung sind, müssen sich vor allem vor einer Einschleppung der Krankheit durch Zukauf von infizierten Tieren schützen.

Impfungen gegen progressive Rhinitis atrophicans dürfen nicht durchgeführt werden.

 

zu 2.:

Die Therapie der Sarcoptes-Räude erfolgt mit Akariziden. Mittel der Wahl ist SebacilÒ, ein Phosphorsäureester, das im Pour-on-Verfahren eingesetzt wird. Wichtig hierbei ist, die äußeren Gehörgänge nicht zu vernachlässigen. Außerdem kann man eine systemische Behandlung mit Avermectinen (z.B. IvomecÒ) durchführen. Bei Ferkeln wird Ivermectin oft oral in Form von Ivomec-PraemixÒ angewandt. In einem befallenem Bestand müssen alle Tiere, die Ställe und die Geräte 3-4 mal im Abstand von einer Woche gründlich gereinigt werden.

Prophylaxe in einem räudefreien Bestand besteht aus Optimierung der Umwelt (da die Räude auch zu den Faktorenkrankheiten gezählt werden kann) und Kontrolle der zugekauften Tiere.

 

 

9. Epikrisis

 

Das Tier ist im jetzigen Stadium der Erkrankung nicht mehr therapierbar, da die Verformung der Kopfknochen irreversibel ist. Die Leistung des Tieres sind durch die schlechtere Futterausnutzung herabgesetzt, aber es kann nach einer verlängerten Mast noch der Schlachtung zugeführt werden.

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