Pferd-45 - Koliksymptome, geringgradige Wundnahtdehiszenz

 

  Krankheitsbericht

 

 

 

 X

Matrikelnummer: X

     

                                                 

Der Fall wurde am X  im Rahmen des Zweiten Staatsexamens durch

Herrn X zugewiesen.   

                                    

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Anamnese

 

Das Pferd „X“ wurde am 25.02.2003 um 23:03 Uhr mit dem Symptom einer heftigen Kolik bei schlechtem Allgemeinbefinden in die Klinik für Pferde der Universität X eingeliefert. Der einweisende Tierarzt hatte das Tier mit 5ml Azepromazin (Vetranquil®) behandelt.

Bei der rektalen Untersuchung wurde eine Verlagerung des Colon ascendens in den Milz-nierenraum befundet. Eine Aufgasung wurde nicht festgestellt. Über eine Nasenschlundsonde konnte Flüssigkeit abgehebert werden. Es wurde am selben Abend eine Laparotomie durchgeführt.

Am 28.02.2003 wurde das Pferd aufgrund erneuter Koliksymptome wiederholt laparotomiert.

 

 

2. Signalement

 

Tierart:                                              Pferd

Rasse:                                               Trakehner

Geschlecht:                                        Stute

Widerristhöhe:                                   ca. 175 cm

Gewicht:                                            ca. 550 kg

Geboren am :                                    X.1993

Farbe:                                               Apfelschimmel

Kennzeichen:                                     breite, unten nach links auslaufende Blesse

Erworbene Kennzeichen:                   keine

Name des Tieres:                              „X“

Kliniknummer:                                   X

Besitzer:                                            X

 

 

 

 

 

 

 

3. Status praesens

 

3.1 Allgemeine Untersuchung:

Bei der Untersuchung am 12.03.2003 zeigt sich das Tier lebhaft und aufmerksam. Es befindet sich in einem relativ guten Pflege- und guten Ernährungszustand. Es belastet alle vier Glied-maßen gleichmäßig. Der Körperbau ist feingliedrig bei einer guten Bemuskelung.

Die Körperinnentemperatur beträgt 38,0°C. Der Körper fühlt sich mit Ausnahme physiologischer Warm- und Kaltzonen gleichmäßig warm an.

Die Pulsfrequenz beträgt 36/min und die Atemfrequenz 12/min. Die sichtbaren Schleimhäute sind rosarot, feucht, glatt, glänzend und weisen eine kapilläre Wiederfüllungszeit unter zwei Sekunden auf.

Die Kehlgangslymphknoten (Lnn. mandibulares) stellen sich bei der Palpation als gelappt, derb-elastisch, deutlich abgrenzbar, verschieblich, nicht schmerzhaft und nicht vergrößert dar. Der Hustenreflex ist nicht auslösbar.

 

 

3.2 Spezielle Untersuchung:

 

Haut und Haarkleid:

Das Winterhaarkleid ist bis auf eine rasierte Stelle von 10 x 15cm in der rechten oberen Flanke und eine etwa 25cm lange Operationswunde am Unterbauch dicht, geschlossen und leicht glänzend. Die Operationswunde ist von einem etwa 15cm breiten und 1cm hohen Ödem umgeben. Es besteht am kranialen und kaudalen Ende der Wundnaht eine Nahtdehiszenz  von jeweils ca. 2 cm und es tritt etwas gelbrötliches Sekret aus.

Auf der rechten Brustwand ist das Haarkleid leicht verklebt und verdreckt. Die Haut ist glatt und elastisch. Eine im Halsbereich aufgezogene Hautfalte verstreicht zügig und vollständig.  Eine im Bereich des Halses aufgezogene Hautfalte verstreicht zügig und vollständig.

 

Schleimhäute:

Die Schleimhäute von Maul und Nase sind rosarot, feucht, glatt und glänzend. Die Konjunktiven sind blaßrosa, mäßig feucht und die Kapillaren sind fein gezeichnet.

 

 

Lymphknoten:

Die Kehlgangslymphknoten sind wachteleigroß, gelappt, unter der Haut verschieblich, von derb-elastischer Konsistenz, deutlich abgrenzbar und nicht schmerzhaft.

 

Zirkulationsapparat:

Der Herzspitzenstoß ist bei Palpation der linken Brustwand spürbar. Die Auskultation ergibt eine Herzfrequenz von 36/min. Die Herztöne sind von starker Intensität, gleichmäßig und gut voneinander abgesetzt. Es sind keine Herzgeräusche wahrzunehmen.

Die Pulsfrequenz entspricht der Herzfrequenz. Der Puls ist regelmäßig, gleichmäßig und mittelstark. Die kapilläre Füllungszeit liegt unter zwei Sekunden.

Die Vena jugularis externa läßt sich im Halsbereich anstauen und verstreicht bei Lösen des Staus zügig.

Die Episkleralgefäße sind deutlich gezeichnet und mittelgradig gefüllt.

 

Respirationsapparat:

Die Atmung des Pferdes ist gleichmäßig und regelmäßig bei einem costoabdominalen Atemtyp. Die Atemfrequenz beträgt 12/min. Bei der Auskultation der Lunge sind vesikuläre Atemgeräusche wahrnehmbar.

 

Digestionsapparat:

Das Pferd hat einen guten Appetit und setzt geballten Kot ab. Der Lippenschluß der Maulhöhle ist vollständig. Die Zunge ist unverletzt und frei von Auflagerungen. Die Adspektion des Abdomens ist unauffällig, die Palpation ergibt eine physiologische Bauchdeckenspannung. Bei der Auskultation sind in allen Quadranten Darmgeräusche wahrnehmbar.

 

Harn- und Geschlechtsapparat:

Die Vulva ist geschlossen und verläuft gerade. Harnabsatz  wurde während der Untersuchung nicht beobachtet.

 

Bewegungsapparat:

Das Pferd steht aufrecht und belastet alle vier Gliedmaßen gleichmäßig. Die Gliedmaßen-stellung und der Gang sind regelmäßig.

4. Spezielle Hilfsuntersuchungen

 

Blutbild:

Leukozyten       14 Tausend/µl

Segmentkernige Granulozyten  65%

Stabkernige Granulozyten   3%

Lymphozyten   28%

Monozyten  4%

 

Rektaluntersuchung am Tag der Einlieferung:

Verlagerung des Colon ascendens über das Milz-Nieren-Band. Es wurde keine Aufgasung der Colonschlingen befundet.

 

 

5. Diagnosen

 

1. geringgradige Wundnahtdehiszenz

2. geringgradiges entzündliches Unterbauchödem

 

Die ursächliche Kolikproblematik ist zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht mehr festzustellen.

 

 

6. Ätiologie

 

Bei der Verlagerung des Colon ascendens in den Milz-Nieren-Raum gelangt der linke Teil der Kolonschleife meist von lateral, ausnahmsweise von kranial oder sogar von kaudal, in den Milz-Nieren-Raum und wird dort eingeklemmt.

Die Erkrankung wird überwiegend bei erwachsenen Pferden, bevorzugt bei großrahmigen Warmblutwallachen gesehen. Stuten und kleinere Pferde erkranken seltener, Fohlen nur ausnahmsweise. Eine Rassendisposition besteht anscheinend nicht.

Die Ursache der Erkrankung ist noch nicht bekannt. Man geht davon aus, daß die linken Kolonlagen zwischen der Milz und der linken seitlichen Bauchwand hochschwimmen und über den dorsalen Milzpol in den Milz-Nieren-Raum  und auf das Milz-Nieren-Band gelangen. Ein voller Magen mit Verlagerung der Milz nach kaudomedial soll diesen Vorgang erleichtern.

Wenn die Kolonschleife in den Milz-Nieren-Raum eingedrungen ist, wird sie dort von einem von der linken Niere, dem Ligamentum phrenicolienale, dem dorsalen Milzpol und der dorsalen Bauchwand gebildeten dorsal offenen Ring festgehalten und eingeschnürt.

Man unterscheidet eine komplette und eine inkomplette Form, je nachdem, ob der Milzpol laterodorsal (komplette Einklemmung) oder ventral (inkomplette Einklemmung) von der verlagerten Grimmdarmschleife liegt.

Die Milz ist in der Regel gestaut. Auf dem straff gespannten Ligamentum phrenicolienale sind die Kolonlagen fast immer um 180° um ihre Längsachse gedrehrt, so daß sich die ventrale Lage dorsal befindet und die dorsale Lage ventral und dem Milz-Nieren-Band aufliegt.

Das Colon ascendens kann bis zur Mitte der rechten Kolonlagen in den Milz-Nieren-Raum eingezogen sein, in Extremfällen bis zum Ansatz der Plica caecocolica.

Am Milz-Nieren-Band kommt es zu einer prästenotischen Ingestaanschoppung in der ventralen und zu einer stenotischen in der dorsalen Kolonlage.

Der Verlauf der Erkrankung mit heftiger Kolik ist selten.

 

Eine Nahtdehiszenz kann durch Klammerungsfehler oder durch zu starke Bewegung des Tieres verursacht werden. Komplikation einer Nahtdehiszenz im Bauchdeckenbereich kann eine septische Peritonitis sein. Durch eine Nahtdehiszenz wird eine primäre Wundheilung verhindert.

Das Unterbauchödem im Bereich der Wunde ist ein entzündliches Ödem.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 7. Differenzialdiagnose

 

zu 1.) keine Differenzialdiagnose

zu 2.) a) Stauungsödem: ensteht durch Behinderung des venösen Blutabflusses, z.B. bei                           Herzinsuffizienz, Kompression großer Venen und Lymphgefäße, v.a. an den                             Gliedmaßen

          b) Hydrämisches Ödem: entsteht durch Verminderung des onkotischen Druckes, z.B.        Albuminmangel bei Unterernährung, Malabsorption, Leberzirrhose, nephrotisches     Syndrom, Permeabilitätsstörung bei hämorrhagischer Diathese

          c) Allergisches Ödem: Urticaria

 

Die Differenzialdiagnosen können aufgrund der allgemeinen und speziellen klinischen Untersuchungsbefunde und der Lokalisation des Ödemes ausgeschlossen werden.

 

 

Differenzialdiagnose zur Kolik-Symptomatik:

a) Magen-Darmerkrankungen

b) Leber- und Gallengangserkrankungen

c) Erkrankungen der Harn- und Geschlechtsorgane

d) Erkrankungen im Brust- und Schlundbereich

e) Infektionskrankheiten (Wundstarrkrampf, Tollwut, Bornavirose, Salmonellose, Milzbrand)

f) Hauterkrankungen

g) Erkrankungen des Bewegungsapparates (Lumbago und Hufrehe)

h) Wasser- und Futtermangel

Die allgemeine und spezielle klinische Untersuchung weisen auf eine Erkrankung des Magen-Darmtraktes hin.

 

 

 

 

 

 

 

Differentialdiagnose zur  Koliksymptomatik bei Magen-Darmerkrankungen:

 

a) Krampfkolik (Colica spastica)

Eine Krampfkolik führt zu plötzlich auftretenden, kurzzeitigen, äußerst schmerzhaften Kolikanfällen, häufig mit Absatz von breiigem bis flüssigem Kot. Die peristaltischen Darmgeräusche sind zunächst verstärkt. Im weiteren Verlauf kommt es zu einem tonischen Dauerkrampf, der die Darmbewegungen unterdrückt, sodaß keine oder nur sehr geringe Darmgeräusche zu hören sind.

 

b) Windkolik (Meteorismus intestini)

Die Aufnahme von blähenden Futtermitteln wie z.B. Klee oder Luzerne führt zu einem exzessiven Gärungsprozeß im Darm und zu dessen übermäßiger Ausdehnung. Diese bewirkt u.a. eine Behinderung der Atmung und der Blutzirkulation sowie eine sichtbare Vergrößerung des Bauchumfanges. Die Darmgeräusche sind zunächst verstärkt, später unterdrückt. Der Kot ist weich und mit Gasblasen durchsetzt.

 

c) Embolisch-thrombotische Kolik

Grundlage dieser Kolikform sind Motilitätsstörungen und hypoxämische Krämpfe des Darmes als Folge einer Verstopfung der Darmarterien durch Strongylidenlarven und den daraus resultierenden Durchblutungsstörungen. Die dadurch bedingten Kolikanfälle treten häufig ohne jeden äußeren Anlaß und unabhängig von der Futteraufnahme auf. Bei der rektalen Untersuchung sind zunächst keine Veränderungen festzustellen.

 

d) Innere Verlegung des Darmes (Obturation)

Beim Fohlen kann das Darmlumen durch pflanzliche Konkremente, Fremdkörper, Parasiten (v.a. Spulwürmer) oder Entzündungsprodukte (Fibrinpfropf) stark verengt oder ganz verschlossen werden. Hierbei kommt es zu plötzlich auftretenden, andauernden Kolikanfällen mit meist fehlendem Kotabsatz. Bei der rektalen Untersuchung sind der Mastdarm und das kleine Colon meist leer, oft kann auch die Ursache des Darmverschlusses in den Endabschnitten des großen Kolons ertastet werden.

 

 

 

e) Lageveränderung des Darmes

Erworbene Lageveränderungen des Darmes wie Torsion, Rotation, Flexion, Volvulus, Invagination, Inkarzerationen, Verlagerung in den Milz-Nieren-Raum etc.  führen zu einem teilweisen oder vollständigen Verschluß des Darmlumens. Die Folge sind mechanische Kompression, Durchblutungsstörungen und Hypoxämie. Je nach Ausmaß und Ort der Verlagerung kommt es zu wenig bis sehr schmerzhaften Kolikanfällen mit plötzlichen und anhaltenden Schweißausbrüchen und fehlendem Kotabsatz. Das Allgemeinbefinden ist stark verändert, Temperatur, Puls- und Atemfrequenz steigen an. Bei der Blutuntersuchung zeigt sich eine Erhöhung der Erythrozyten- und Leukozytenzahl sowie ein Anstieg des Hämatokrites.

 

Durch die rektale Untersuchung konnte eine Verlagerung des Colon ascendens über das Milz-Nieren-Band festgestellt werden und andere Differenzialdiagnosen als die Lageveränderung des Darmes ausgeschlossen werden.

 

 

8. Therapie

Die Behandlung einer Milz-Nieren-Band-Verlagerung erfolgt konservativ durch Wälzen in Allgemeinnarkose. Bei hochgradigen Koliksymptomen, wie sie das Pferd „X“ bei Einweisung zeigte, ist eine chirurgische Versorgung indiziert.

Über einen medianen Zugang zur Bauchhöhle wird manuell die verlagerte Kolonschleife aus dem Milz-Nieren-Band befreit. Bei aufgegasten Darmschlingen geht der Manipulation eine Entgasung voraus.

Zur Schockprophylaxe wird eine Infusionstherapie mit Sterofundin eingeleitet.

Um die Darmmotorik anzuregen, wird Konstigmin (0,01-0,05mg/kg s.c.) zur Anregung der Dickdarmschlingen und MCP zur Anregung der Dünndarmschlingen gegeben.

Eine Schmerzbehandlung wird mit Flunixin (2mg/kg i.v.) eingeleitet.

Zur Reheprophylaxe bekommen Koliker Heparin intravenös verabreicht.

Um die infizierte Nahtdehiszenz zu therapieren, können Penicillin/Streptomycin oder Cephalosporine eingesetzt werden. Die Wunde muß abgedeckt sein und der Verband täglich gewechselt werden.

 

Das Pferd muß acht Wochen nach der Operation Stallruhe halten. Es darf nur wenig und kontrolliert bewegt werden. Eine langsame Anfütterung ist angeraten. Das Futter (Heu und Hafer) muß qualitativ hochwertig sein und fraktioniert in kleinen Mengen verabreicht werden.

 

9. Prognose

Die Prognose bezüglich des Lebens, der Wiederherstellung und des Verlaufes im Bestand ist als günstig einzustufen.  Für diese Prognose sprechen das gute postoperative Befinden des Tieres, die Normalisierung des weißen Blutbildes und die durch die Nahtdehiszenz zwar verzögerte, jedoch fortschreitende Wundheilung.

 

10. Epikrise

„X“ wurde am 25.02.2003 mit schwerer Koliksymptomatik im Notdienst vorgestellt. Die Rektaluntersuchung ergab eine ursächliche Verlagerung des Colon ascendens über das Milz-Nieren-Band, woraufhin das Pferd laparotomiert wurde. Aufgrund der wiederkehrenden Koliksymtomatik mußte das Tier am 28.02.2003 wiederholt laparotomiert werden. Seitdem ist das Pferd kolikfrei und zeigt einen guten Genesungsverlauf. Durch eine Nahtdehiszenz der Laparotomiewunde kam es zu einer leichten Entzündung des Wundgebietes mit der Entwick-lung eines geringgradigen entzündlichen Unterbauchödems. Im Blutlabor zeigt sich eine leichte regenerative Linksverschiebung bei einer leichten Leukozytose. Die voranschreitende Normalisierung des weißen Blutbildes läßt auf Abklingen entzündlicher Prozesse schließen.

Auf eine postoperative Anfütterung mit Mash und kleinen Portionen Heu reagierte die Patientin gut.

Das Pferd kann nach Abheilung der Operationswunde dem Besitzer übergeben werden. Der Besitzer ist darüber zu informieren, daß acht Wochen Stallruhe eingehalten werden müssen. Bewegung ist gering zu halten und nur unter Kontrolle möglich. Das Futter des Tieres soll aus kleinen Portionen hochqualitativen Heus und kleinen Portionen Hafer als Kraftfutter über den Tag verteilt dem Tier gegeben werden.

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