Rind-14 - Backenabszess

 

 

Krankheitsbericht

 

 

 

 

 

 

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1. Anamnese

 

Der Patient wurde wegen einer Schwellung im Maulbereich und einer Atemstörung

vorgestellt.

 

 

2. Signalement

 

Der Patient ist ein schwarzbuntes Kuhkalb, das nach dem Zahnalter ca. 6 Wochen alt ist

und ca. 50-55 kg wiegt. Die Ohrmarkennummer ist und die

Patientennummer ist. Das Kalb hat ein weißes Flotzmaul mit kleinen schwarzen

Punkten und eine durchgehende Blesse. Auf der rechten Seite ist vom Widerrist abwärts

ein weißer breiter Streifen. Es hat eine weiße Beckenbinde und einen schwarzen

Schwanzansatz. Die unteren Zweidrittel des Schwanzes sind weiß. Der Bauch und alle vier

Gliedmaßen sind ebenfalls weiß. Das Kalb ist enthornt.

 

 

3. Status praesens

 

     Das Kalb wurde am 12.12.2000 in der Klinik für Klauentiere untersucht.

 

 

3.1. Allgemeine Untersuchung

 

Die Pulsfrequenz beträgt 60 Schläge pro Minute und die Atemfrequenz 132

Atemzüge pro Minute. Die innere Körpertemperatur ist 39,8° C.

Das Kalb liegt in Brust-Seitenlage und ist nur schwer aufzutreiben. Während es liegt

streckt es den Kopf vor und hustet ab und zu. Es nimmt an seiner Umgebung teil, ist dabei   

aber sehr ruhig. Der Ernährungszustand ist schlecht und der Pflegezustand ist gut.

 

 

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3.2. Spezielle Untersuchung

 

3.2.1. Haut- und Haarkleid

 

     Das Haarkleid ist geschlossen, glatt, glänzend und relativ lang ( Winterfell).

     Die Haut ist weich elastisch und gut verschieblich. Eine aufgezogene Hautfalte

     verstreicht sofort wieder.

     Im Maulbereich hat das Kalb unter der Haut eine etwa walnussgroße, derbweiche,

     nicht schmerzhafte Schwellung, die sich nur wenig verschieben lässt. Die Haut darüber

     ist verschieblich und nicht vermehrt warm.Die Schwellung liegt auf der linken Seite auf

     Höhe des Unterkiefers etwa 10 cm hinter der Maulspalte. Eine Verbindung zur

     Maulhöhle ist nicht sichtbar.

 

3.2.2. Schleimhäute

 

     Die sichtbaren Schleimhäute sind glatt, glänzend und blaß-rosarot.

 

3.2.3. Lymphapparat

 

     Die  Nll.manibulares, die Nll.retropharyngei mediales und die Nll.parotidei sind nicht

     tastbar. Die Bug- und die Kniefaltenlymphknoten sind je etwa 2-3 cm lang, etwa

     bleistiftstark, verschieblich, prall-elastisch und nicht schmerzhaft.

 

3.2.4. Zirkulationsapparat

 

     Die Herzfrequenz beträgt 60 Schläge pro Minute. Die Herztöne sind kräftig,

     regelmäßig, abgesetzt und es sind keine Nebengeräusche zu hören.

     Die Pulsfrequenz an den Aa. maxillares beträgt 60 Schläge pro Minute. Der Puls ist

     kräftig, regelmäßig und gleichmäßig bei einer mittleren Gefäßspannung. Die

     Episkleralgefäße sind haarfeingezeichnet. Die kapilläre Füllungszeit liegt unter zwei

     Sekunden. Die Vv.jugulares sind beide anstaubar und hinter dem Stau fließt das Blut an

     beiden Venen ab.

 

3.2.5. Respirationstrakt

 

      Das Flotzmaul ist feucht und glänzend. Bei der Perkussion der Nasennebenhöhlen ist

      ein hohles Geräusch zu hören. Am Kehlkopf ist Husten auslösbar. Bei der Palpation der

      Trachea wird ebenfalls Husten ausgelöst. Der Husten ist feucht.

      An der Trachea ist auskultatorisch ein verstärktes laryngotracheales Geräusch zu hören.

      Die Atemfrequenz beträgt 132 Atemzüge pro Minute, der Atmungstyp ist

      abdominal und die Atmungsintensität ist verstärkt. Das Lungenfeld wird dorsal von der

      Stammesmuskulatur begrenzt und verläuft im Bogen von der 11. Rippe über die Mitte

      der 9. Rippe bis etwa zweifingerbreit über dem Ellbogengelenk. Cranial wird es von

      der Schulter begrenzt. Im ganzen Lungenfeld ist der volle Lungenschall zu hören.

      Bei der Perkussion des Lungenfeldes wird Husten ausgelöst. Bei  der Auskultation sind

      exspiratorisch und inspiratorisch auf beiden Seiten verstärkte tracheobrochale und

      verstärkte bronchobronchuläre Atemgeräusche zu hören

 

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3.2.6. Digestionsapparat

 

     Die Futteraufnahme von Milchaustauscher sowie Kraftfutter und Heu ist schlecht. Das

     Kalb hat einen leichten Vorbiss und besitzt noch alle Milchzähne. Das Abdomen ist

     symmetrisch und im ventralen Bereich etwas vorgewölbt. Die Bauchdecke ist entspannt

     und eine Schichtung des Pansen ist nicht fühlbar. Bei der Auskultation ist ein Gluckern

     zu hören. Der Analbereich und der Schwanz ist völlig kotverschmiert. Der Kot ist braun

     und dünnflüssig.

 

3.2.7. Urogenitaltrakt und Euter

 

      Das Kalb ist weiblich es sind alle vier Zitzen zu sehen. Währen der Untersuchung setzt

      es einmal in physiologischer Haltung (aufgekrümmter Rücken, gespreizte Hinterbeine,

      abgehaltener Schwanz) Harn ab, der klar, wässrig und gelb ist.

 

3.2.8. Bewegungsapparat

 

      Das Kalb steht aufrecht und belastet alle vier Gliedmaßen gleichmäßig. Der

      Bewegungsablauf ist ungestört.

 

3.2.9. Nervensystem

 

     Das Kalb ist ruhig, fast apathisch, zeigt aber Interesse an seinen Artgenossen. Der Lid-,

     der Droh-, der Pupillar-, der Panniculus-, der Zwischenklauen-, der Ohr- und der

     Gaumenreflex erfolgen prompt.

     

3.2.10. Sinnesorgane

 

       Am rechten Auge ist zentral eine weiße, runde Trübung der Cornea zu sehen, die einen

       Durchmesser von etwa 3- 4 mm hat.

 

3.2.11.  Hilfsuntersuchungen: Blutuntersuchung am 7.12.2000      am 11.12.2000:

                                                                         MCH  11,3                    11,4

                                                                         MCV   36                       36

                                                                         HCT     0,27                    0,32                                                                                          

                                                                         restliche Werte siehe beiliegende Kopie

 

4. Differentialdiagnose

 

Die Differentialdiagnosen zum Backenabszess sind Aktinomykose, Aktinobazillose,

Nekrobazillose, Tuberkulose, Leukose und andere Tumoren. Diese müssten durch ein

Bioptat vom Abszess abgegrenzt werden.

Den krankhaften Befunden des Respirationstraktes können verschiedene Krankheiten

zugrunde liegen. Durch weitere Untersuchungen müssten die enzootische

Bronchompneumonie, die mycoplasmenbedingte Pneumoenteritis der Kälber und

Jungrinder, Infektion mit Pasteurellen, mit Streptokokkus pneumoniae, BRSV-Infektion, 

aerogene chronisch-eitrige Bronchopneumonie  und hämatogene eitrig-abszedierende

Bronchopneumonie voneinander abgegrenzt werden.                                                                                                     

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Der Durchfall kann fütterungsbedingt sein (verdorbene oder falsch zusammengesetzte

Tränke, zu kalte oder zu warme Tränke oder plötzlicher Futterwechsel), stressbedingt

(Transport, Stallwechsel) oder durch Infektionen mit Viren (Rotaviren, Coronaviren,

Adenoviren), Bakterien (E.coli, Klebsiellen, Salmonellen) oder Parasiten (Trichostrongy-

lidose, akute Fasciolose).

Die Hornhauttrübung kann ein Hornhautödem z.B. infolge einer vorderen Synechie sein

oder eine Narbe oder durch zelluläre Infiltration oder Einschlüsse von Lipiden oder

Calcium entstanden sein. Eine weitere Differentialdiagnose ist die Weidekeratitis, die

jedoch von Konjunktivitis begleitet wird.

 

 

 

5. Diagnose

 

Die Schwellung im Maulbereich ist ein Backenabszess. Außerdem hat das Kalb Fieber,

     eine Bronchopneumonie, Diarrhoe und eine lokal begrenzte Hornhauttrübung im rechten

     Auge, sowie eine mikrozytäre Anämie, da das mittlere Volumen der roten Blutkörperchen  

(MCV) und der mittlere Hämoglobingehalt der roten Blutkörperchen (MCH) leicht

erniedrigt sind. Am 7.12.2000 ist der Hämatokrit leicht erniedrigt.

 

 

 

6. Prognose

 

Die Prognose für die Heilung des Abszesse ist gut, sowohl für das Leben als auch für die

Wirschaftlichkeit und die weitere Nutzung.

Die Prognose für die Wirschaftlichkeit und das Leben hinsichtlich der Lungenerkrankung

und der Diarrhoe ist als ungünstig einzustufen, da das Tier bereits stark abgemagert ist und

schlecht frisst.

 

 

 

7. Therapie

 

Der Abszess wird gespalten und ausgeräumt.

Die Bronchopneumonie wird mit Nicht-steroidalen-Antiphogistika, einem Antibiotikum

z.B. Ampicillin10 mg/kg oral oder parenteral 2x täglich (möglichst aber ein Antibiotikum

nach Antibiogramm), Sekretolytika z.B. Bromhexin 0,3 mg/kg oral  und einem

bronchodilatatorischen Medikament behandelt.

Der Durchfall wird bei Anzeichen von Austrocknung mit Dauertropfinfusion behandelt.

Außerdem sollte die Milchaustauschertränke durch Tee mit ca 50g Traubenzucker/L oder

Diättränke ersetzt werden.

Für die weitere Therapie müssen erst mit Hilfe einer Kotuntersuchung die Ursachen

genauerabgeklärt werden.

 

 

 

 

 

 

 

                                                       

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8. Epikrise

 

Backenabszesse sind oft Folge eines oberflächlichen oder tiefen eitrig-granulomatösen

Prozesses, der durch verschiedene Eitererreger ( z.B. Streptokokken, Staphylokokken,

Corynebacterium pyogenes) verursacht werden kann. Der Verlauf ist meist langsam,

subakut bis chronisch. Zu Beginn der Erkrankung fallen die Tiere durch vermehrtes

Speicheln, gestörte Kaubewegungen und je nach Lokalisation durch Schluckbeschwerden

auf. Darauf folgen dann die Backenabszesse. Prophylaktisch sollten Unsauberkeiten beim

Tränken vermieden werden und erkrankte und gesunde Tieren nicht aus den gleichen

Eimern getränkt werden. Als Komplikation kann durch Aspiration der Erreger eine eitrige

Lungenentzündung auftreten.

Wenn Erkrankungen des Atmungsapparates und des Verdauungstraktes wie in diesem Fall

zusammen auftreten und vielleicht sogar gehäuft im Bestand auftreten, sind häufig

Faktorenkrankheiten die Ursache. Die beteiligten Erreger sind meist nur fakultativ

pathogen und benötigen wegbereitende Faktoren oder Keime um krank zu machen.

Faktoren sind zum Beispiel zu wenig, zu spät verabreichtes oder qualitativ schlechtes oder

ungeeignetes Kollostrum. Schlechtes oder ungeeignetes Kollostrum enthält zu wenig oder

nicht stallspezifische Antikörper (z.B. bei erst kürzlich zugekauftem Muttertier). Aber

auch die Haltungsbedingungen wie z.B. zu kalte oder zu feuchte Luft, sowie Zugluft und

mangelhafte Stallhygiene begünstigen die Faktorenkrankheiten. Außerdem treten diese

Krankheitskomplexe auch beim Zusammentreffen von vielen Tieren auf und werden dann

als „crowding disease“ bezeichnet. Die Symptome sind wie schon genannt gehäuft

auftretende Erkrankungen von Respirations- und Verdauungsapparat und Kümmern bei

Jungtieren. Verbesserung der Haltungsbedingungen, der Stallhygiene sowie rechtzeitige

und ausreichende Verabreichung von Kollostrum sind daher Vorraussetzung für eine

Verminderung der Krankheitsfälle. Durch Impfung der tragenden Kühe kurz vor der

Geburt mit dem Problemkeim kann eine Anreicherung der Kollostralmilch mit spezifischen

Antikörpern erreicht werden. Bei Durchfällen sollte es außerdem vermieden werden zu

kalte, zu warme, verdorbene oder zu viel Tränke auf einmal zu verabreichen. Auch auf die

richtige Zusammensetzung des Milchaustauschers ist zu achten.

Für die weitere Diagnostik und Therapie müssten Kotproben und Nasentupfer entnommen

und untersucht werden, um abzuklären welche Erreger die genaue Krankheitsursache sind

und gegen welche Antibiotika sie sensibel sind. Dann ließe sich auch sagen ob die

genanntenKrankheitsbilder im Zusammenhang miteinander stehen.

Da am rechten Auge keine Gefäßeinsprossung in der Cornea sichtbar ist und die

Konjunktivalschleimhaut unauffällig ist, ist die Trübung vermutlich ein bereits abge-

schlossener Prozess, der verschieden Ursachen gehabt haben kann, z. B. eine Keratitis, eine

Hornhautverletzung oder eine vordere Synechie. Eine Therapie ist nicht notwendig, da das

Tier wahrscheinlich nicht stark im Sehen beeinträchtigt ist.

Die leicht erniedrigten Werte des  MCV und des MCH erklären die etwas zu blassen

Schleimhäute des Kalbes.

 

 

    

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