Schaf-02 - "Bent Limb Syndrome" > Belastungsosteopathie der Mastlämmer

 

 

 

 

 

K R A N K H E I T S B E R I C H T

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Signalement

 

Am x wurde mir durch x ein männliches Schaf zur Untersuchung vorgestellt. Das Tier gehört der Klinik für Klauentiere der FU Berlin und ist ca. 4-5 Monate alt. Der unbehornte Kopf, die Gliedmaßen sowie der bewollte Körperstamm weisen eine grauweiße Färbung auf. Dem Erscheinungsbild nach handelt es sich um ein Merinolandschaf.

 

 

 

2. Anamnese

 

Über frühere Erkrankungen, den Beginn der aktuellen Erkrankung sowie eventuelle Vorbehandlungen ist nichts bekannt. Das Tier wurde wegen einer Veränderung der Vordergliedmaßen in der Klinik für Klauentiere x vorgestellt.

 


3. Status Praesens

 

 

3.1 Allgemeinuntersuchung

 

Im Stand ist eine Beugung der Vordergliedmaßen auffällig, das Tier stützt sich auf die Handwurzelgelenke. Die Hintergliedmaßen werden vollständig belastet. Das Schaf wirkt der Situation entsprechend unruhig, es ist aufmerksam und nimmt an seiner Umgebung teil. Der Ernährungszustand ist als gut zu bezeichnen, der Plegezustand ist mäßig.

 

Die Atemfrequenz beträgt 60 Atemzüge pro Minute, der Atemtyp ist costoabdominal.

 

Die rektal gemessene Körperinnentemperatur beträgt 39,8 oC. Die Handwurzelgelenke sind vermehrt warm, ansonsten fühlt sich die Körperoberflächentemperatur mit Ausnahme der physiologischen Warm- und Kaltzonen gleichmäßig warm an.

 

Das Tier hat eine Herzfrequenz von 120 Schlägen pro Minute. Die Pulsfrequenz (A. femoralis) entspricht der Herzfrequenz. Der Puls ist gleichmäßig, regelmäßig und kräftig.

 

 

3.2 spezielle Untersuchung

 

3.2.1 Haut und Haarkleid

Das Haarkleid bedeckt geschlossen die gesammte Körperoberfläche und ist am Körperstamm lang und dicht gekräuselt. Ein Juckreiz scheint weder spontan zu bestehen, noch ist er auszulösen. Im Bereich der Handwurzelgelenke beider Vordergliedmaßen befindet sich je eine kreisrunde, haarlose Stelle, die auf der rechten Seite einen Durchmesser von ca. 2,5 cm, auf der linken Seite von ca. 4 cm hat. Die Haut ist in diesem Bereich rosafarben, derb und verschmutzt.

 

3.2.2 Schleimhäute

Die Lidbindehäute sind rosarot, feucht, glatt und glänzend. Die sichtbaren Anteile der Nasen- und Maulschleimhaut ist blaßrosa, feucht, glatt und glänzend.

 


3.2.3 Lymphknoten

Die am Kopf palpierten Lymphknoten (Unterkiefer-, Ohrgrundlymphknoten) sind derbelastisch, unter der Haut verschieblich und weder vermehrt warm noch schmerzhaft. Die Bug- und Kniefaltenlymphknoten konnten nicht palpiert werden.

 

3.2.4. Zirkulationsapparat

Die Pulsfrequenz, palpiert an der A. femoralis, beträgt 120 Schläge pro Minute. Der Puls ist gleichmäßig, regelmäßig und kräftig. Die Episkleralgefäße sind gut gefüllt und setzen sich durch eine scharfe Zeichnung deutlich von ihrer Umgebung ab. Die kapilläre Füllungszeit beträgt 2 Sekunden. Die Herzfrequenz beträgt 120 Schläge pro Minute. Die Herztöne sind deutlich zu hören, sie sind kräftig, regelmäßig und gut voneinander abgesetzt. Nebengräusche sind nicht zu vernehmen. Der Herzwandstoß ist deutlich an der seitlichen Brustwand fühlbar.

 

3.2.5 Atmungsapparat

Das Tier atmet regelmäßig costoabdominal mit einer Frequenz von 60 Zügen pro Minute. Es sind keine außergewöhnlichen Atemgeräusche vernehmbar. Die Atemluft strömt aus beiden Nasenlöchern gleichmäßig aus, sie ist lauwarm und weist den stallspezifischen Geruch auf. Die Perkussion der Nasen- und Nasennebenhöhlen ergibt eien deutlichen, resonanten Schall, es ist keine Schmerzhaftigkeit festzustellen. Der Kehlkopf ist symmetrisch, durch Druck auf den Gießkannenknorpel bzw. die ersten Trachealringe ist kein Hustenreiz auslösbar. Bei der Auskultation der Lunge sind keine außergewöhnlichen Atemgeräusche vernehmbar. Der Brustkorb ist symmetrisch und bewegt sich synchron zur Atemtätigkeit.

 

3.2.6 Verdauungsapparat

Die Aufnahme von Futter und Wasser wurde während der Untersuchung nicht beobachtet. Das Maul ist geschlossen, die Zunge ist beweglich, unverletzt und frei von Auflagerungen. Aus der Maulhöhle strömt ein aromatischer Geruch aus, die Maulschleimhaut ist blaßrosa, frei von Auflagerungen und unverletzt. Die Form des Abdomens ist wegen des dichten, langen Vlieses nicht zu beurteilen. Die Schließmuskel- und Perinealgegend ist sauber und frei von Auflagerungen. Der während der Untersuchung abgesetzte Kot hat eine schwarze Farbe und besteht aus erbsengroßen Kügelchen.

 

 


3.2.7 Harnapparat

Harnabsatz wurde während der Untersuchung nicht beobachtet.

 

Geschlechtsapparat

Beide Hoden sind vorhanden und vollständig in das Skrotum abgestiegen. Sie sind von derbelastischer Konsistenz, symmetrisch, frei unter der Skrotalhaut verschieblich und weder vermehrt warm noch schmerzhaft. Die Palpation des Penis ergibt weder Umfangsvermehrungen, Schmerzhaftigkeit noch sonstige Veränderungen. Die Schleimhautblätter sind gut gegeneinander verschiebbar.

 

3.2.9 Bewegungsapparat

Im Stand sind die Vordergliedmaßen gebeugt, das Tier stützt sich auf den Handwurzelgelenken ab, die Hinterbeine werden voll belastet. Treib man das Schaf auf die Vordergliedmaßen, belastet es hauptsächlich das linke Vorderbein, das rechte berührt nur mit der Spitze der Klauen den Boden. Es ist eine O-Beinigkeit durch Verkrümmung der Handwurzelgelenke sichtbar, die Beugung der Gliedmaßen beträgt links ca. 90°, rechts ca. 170°. In dieser Haltung kann man das Tier einige Schritte führen, dabei bewegt es sich mit schwankendem, steifen Gang, bis es nach kurzer Zeit wieder in die oben beschriebene Position zurückfällt. Bei der Adspektion und Palpation der Handwurzelgelenke fallen die oben bereits beschriebenen haarlosen Stellen auf, in diesem Bereich ist die Körperoberflächentemperatur vermehrt warm, die Haut ist verdickt und gerötet. Die Beugesehnen sind an beiden Vordergliedmaßen deutlich verkürzt, eine Streckung der Handwurzelgelenke ist auch unter Kraftaufwand nicht möglich.

 

3.2.10 Nervensystem

Der Patient ist aufmerksam und nimmt an seiner Umgebung teil. Lidschlag- und Pupillenreflex sind auslösbar, ebenso der Anal- und Zwischenklauenreflex.

 

3.2.11 Sinnesorgane

Die Augenstellung ist symmetrisch, Öffnung und Schluß beider Augenlider erfolgt gleichzeitig. Linse und Hornhaut erscheinen beidseits klar und durchsichtig.

 

 

 


4. Diagnose

 

„Bent Limb Syndrome“ ® Belastungsosteopathie der Mastlämmer

 

Das „Bent Limb Syndrome“ ist eine Erkrankung des Gliedmaßenskeletts, die vor allem bei Mastlämmern vorkommt. Als Ursache gilt primär das Mißverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit des Skeletts in der Intensivmast. Durch hohe tägliche Zunahmen kommt es zur Überbelastung der Extremitäten, die eine Deformation der jugendlichen, noch nicht vollständig verfestigten Röhrenknochen nach sich zieht.

 

 

 

5. Differentialdiagnosen

 

RACHITIS ist eine hyperplastische Osteopathie der Jungtiere infolge einer Phosphor- und Calciumunterversorgung bzw. eines falschen Ca-P-Verhältnis in Verbindung mit einem Mangel an Vitamin D. Die Folge ist eine unvollständige Einlagerung von Calcium in das jugendliche Knochengewebe und damit eine unzureichende Verfestigung der Knochen. Es kommt zu Verbiegungen der weichen Röhrenknochen, im fortgeschrittenen Stadium auch zu Verdickungen der Gelenke und Rippenknochen sowie zum Wachstumsstillstand.

 

OSTEOMALAZIE ist eine hyperplastische Osteodystrophie erwachsener Tiere (besonders Muttertiere im letzten Drittel der Trächtigkeit bei Anlage von Zwillingen oder Drillingen), die ebenfalls durch eine unausgeglichene Ernährung (Calcium- und Phosphorunterversorgung in Verbindung mit einem Mangel an Vitamin D, falsches Ca-P-Verhältnis) bedingt ist. Diese Erkrankung tritt ebenso wie die Rachitis häufig bei Tieren auf, die über längere Zeit im Stall gehalten werden; durch mangelnde Sonnenlichteinwirkung wird die körpereigene Synthese von Vitamin D, welches die Resorption von Calcium und Phosphat im Darm steigert, gestört bzw. unterbunden. Der Körper versucht daraufhin, den Mangel an Calcium und Phosphat durch erhöhte Osteoklastenaktivität zu kompensieren. Es kommt zur Demineralisation der Knochen, das Knochengewebe wird brüchig.

 

Zur Abklärung der Differentialdiagnosen sollte im Bestand eine Futteranalyse hinsichtlich des Gehalts an Calcium, Phosphat und Vitamin D durchgeführt werden. Eine Blutuntersuchung würde im Falle einer Rachitis bzw. Osteomalazie einen erniedrigten Phosphatspiegel ergeben, der Calciumspiegel sinkt aufgrund der körpereigenen Gegenregulation erst sehr viel später und gibt daher nur geringe Hinweise.


6. Prognose

 

Die Prognose ist für den vorgestellten Patienten aufgrund der schwerwiegenden Veränderungen der Vordergliedmaßen als infaust zu bezeichnen.

 

 

 

7. Therapie

 

Eine wirksame Therapie ist nicht möglich, das Tier sollte der Verwertung zugeführt werden.

 

 

 

8. Epikrise

 

Vorgestellt wurde ein ca. 4-5 Monate altes, männliches Merinolandschaf mit einer Deformation der Vordergliedmaßen. Die klinische Untersuchung ergab die Diagnose „Bent Limb Syndrome“, weitere Untersuchungen wurden nicht eingeleitet. Eine Therapie dieser Erkrankung ist nicht möglich, die Prognose ist als infaust zu bezeichnen.

 

Im Betrieb sollte eine Futteranalyse sowie eine Blutuntersuchung der Herde durchgeführt werden, um eine eventuelle Fehlernährung auszuschließen. Bei der Auswahl der Zuchttiere, insbesondere der Böcke, sollte auf Stellungsfehler der Gliedmaßen geachtet werden, auch wenn bisher noch keine Hinweise auf eine genetische Veranlagung vorliegen.

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