Katze-02 - Luxatio sacrococcygea, Subluxatio sacroiliaca bilateralis, Fractura tuber ischiadicum

 

 

        Krankheitsbericht

 

  

 

 

 

 

 

 

         1.Signalement

 

Name:                                                   x

Tierart:                                                  Katze

Rasse:                                                   Europäisch Kurzhaar

Geschlecht:                                            männlich, kastriert

Gewicht:                                    4,5 kg

Alter:                                                     5 Jahre

Besitzer:                                                x

 

 

 

2. Anamnese

 

Die Katze wird als Freigänger gehalten und wurde am Morgen des 11.05.2000 von Frau x vor ihrer Tür liegend gefunden. „x“ konnte weder die Hintergliedmaßen noch den Schwanz bewegen und reagierte auf Berührungen äußerst schmerzhaft. Das Tier wurde daraufhin umgehendam 11.05.2000 in der Klinik und Poliklinik für Kleine Haustiere vorgestellt.

 

Bei der ersten Untersuchung in der Klinik am 11.05.2000 zeigte der Patient ein ruhiges Verhalten. Die Schleimhäute waren blaßrosa, der Puls betrug 200 Schläge / min und war schwach, aber regelmäßig. Die kapilläre Füllungszeit betrug 3 Sekunden. Die rektale Körperinnentemperatur betrug 35,8 °C. Im Anschluß an die Untersuchung wurde eine systemische Antibiose mit zweimal täglich 1,2 ml Augmentanâ i.v. eingeleitet. Zur Behandlung der Schmerzen wurden dreimal täglich 0,1 ml Temgesicâ i.v. verabreicht. Außerdem erhielt der Patient dreimal täglich 150 ml Sterofundin-Infusion.

 

 

 

3. Status praesens (12.05.2000)

 

 

 

allgemeine Untersuchung

 

 

Während der Untersuchung befindet sich der Patient in Seitenlage. Im Stand werden nur die Vordergliedmaßen belastet, die Hintergliedmaßen befinden sich in Schonhaltung. Der Patient ist aufmerksam und nimmt an seiner Umgebung teil. Der Ernährungszustand ist als gut zu bezeichnen, ebenso der Pflegezustand.

 

 

 

 

 

 

spezielle Untersuchung

 

 

·  Körperinnentemperatur:                     38,4 °C

·  Pulsfrequenz:                          120 Schläge / min                   

·  Atemfrequenz:                                   38 Atemzüge / min

 

 

Haut und Haarkleid:

Das Haarkleid geschlossen, dicht, glatt anliegend und glänzend. Die Haut ist glatt und fest, eine aufgezogene Hautfalte verstreicht zügig und vollständig. Im Bereich des linken Augenlids befindet sich eine ca. 4 mm lange, im vorderen Drittel des Schwanzes eine ca. 2 cm lange Abschürfung.

 

 

sichtbare Schleimhäute:

Die Maulschleimhaut ist blaßrosa, glatt, glänzend und ohne Auflagerungen, die kapilläre Füllungszeit liegt unter 3Sekunden. Die Conjunctiven sind blaßrosa und mäßig feucht, die Kapillaren sind fein injiziert.

 

 

Lymphknoten:

Sämtliche palpierten Lymphknoten sind unter der Haut verschieblich, glatt, von prall-elastischer Konsistenz und nicht schmerzhaft.

 

 

Herz-Kreislauf-System:

Der Herzstoß ist an der seitlichen Wand des Brustkorbes kaum fühlbar. Die Auskultation des Herzens ergibt eine Herzfrequenz von 120 Schlägen pro Minute. Die Herztöne sind von schwacher Intensität, gleichmäßig und gut voneinander abgesetzt. Es sind keine Herzgeräusche wahrnehmbar. Die Pulsfrequenz, palpiert an der A. femoralis, entspricht der Herzfrequenz. Der Puls ist schwach, aber regelmäßig.

 

 

Atmungsapparat:

Adspektorisch ist eine rhythmische, costoabdominale Atmung feststellbar, die Frequenz beträgt 38 Atemzüge pro Minute. Die Bewegung des Brustkorbes ist symmetrisch, die Atemluft strömt aus beiden Nasenlöchern gleichmäßig aus und ist geruchlos.

 

 

Verdauungsapparat:

Der Lippenschluß ist vollständig, die Umgebung des Mauls ist sauber. Zunge und Maulschleimhaut sind unverletzt und frei von Auflagerungen. Die Palpation des Abdomens ergibt eine physiologische Bauchdeckenspannung. Kotabsatz wurde laut Vorbericht seit dem 11.05.2000 nicht mehr beobachtet.

 

 

 

 

 

Harn- und Geschlechtsapparat:

Am 12.05.2000 wurde eine geringe Menge Harn im Käfig des Patienten vorgefunden. Zum Zeitpunkt der Untersuchung ist die Blase kaum fühlbar, da sie kurz zuvor manuell entleert wurde. Penis und Präputium zeigen keine Besonderheiten.

 

 

Bewegungsapparat:

Das Tier befindet sich in Seitenlage mit angewinkelten Hintergliedmaßen. Es ist nicht in der Lage selbstständig aufzustehen. Wird das Tier im Stand unterstützt, so belastet es nur die Vordergliedmaßen, die Hintergliedmaßen werden geschont und zeigen kaum Reaktion. Bei der Tischkantenprobe kann eine geringe Reaktion der Hintergliedmaßen provoziert werden, die bei der linken Hintergliedmaße stärker ausfällt als bei der rechten.  Auf die Prüfung der Oberflächen- und Tiefensensibilität reagiert der Patient angemessen. Während der gesamten Untersuchung hängt der Schwanz des Tieres schlaff herab und zeigte keinerlei Reaktion. Beim Abtasten ist im Bereich des Beckens ein Knick in der Wirbelsäule fühlbar.

 

 

Nervensystem:

Der Patient ist bei vollem Bewußtsein. Neurologisch sind keine eindeutigen Ausfälle erkennbar. Bei der weiteren Untersuchung wurde festgestellt, daß kein Analreflex vorhanden ist.

 

 

 

weiterführende Untersuchung

 

 

Blutbild:                        ½       11.05.                           12.05.                                    

                                                ½                                                                                          

          Erythrozyten                    ½       8,15                              6,06                 Mio / ml             

          Hämoglobin                      ½       11,7                              8,87                 g / 100 ml              

             Hämatokrit                      ½       31,9                              24,5                %                           

             Thrombozyten                  ½       0,265                            90,5                 Tausend / ml        

          Leukozyten                      ½       13,9                              11,2                 Tausend / ml        

                                                ½                                                                                          

          MCV                               ½                                            40,4                 mm3                  

          MCH                               ½                                            14,6                 pg                   

          MCHC                            ½                                            36,2                 %                    

                                                ½                                                                                          

          Harnstoff                         ½                                            27                    mg / 100 ml           

             Blutzucker                       ½                                            191                  mg / 100 ml        

          Na                                  ½                                            144                  mmol / l            

          K                                    ½                                            3,6                   mmol / l            

          AP                                  ½                                            25                    U / l                   

          GPT                                ½                                            36                    U / l                   

          Kreatinin                         ½                                            0,86                mg / 100 ml           

          GE                                  ½                                            5,74                 g / 100 ml          

 

 

Röntgen:

Es wurden seitliche Röntgenaufnahmen vom Brust- und Bauchraum sowie eine Aufnahme in Rückenlage vom Becken der Katze angefertigt. Bei deren Betrachtung fällt auf, daß sich das Herz relativ klein darstellt. Auf der Röntgenaufnahme des Bauchraums ist eine Verschattung im Bereich der Sitzbeinmuskulatur sichtbar. Die in Rückenlage gemachte Aufnahme zeigt eine Aufhellung, die parallel zur Wirbelsäule verläuft und Schambein und Sitzbein der rechten Beckenhälfte durchzieht. Die Kontur des rechten Sitzbeinhöckers  erscheint unregelmäßig. Die glatten Übergänge zwischen Darmbeinsäule und Kreuzbein sind beidseitig unterbrochen. Die strangförmige Struktur der Wirbelsäule ist im Bereich der ersten Schwanzwirbel nicht mehr erkennbar, die Wirbel sind dort eher diffus angeordnet.

 

 

 

4. Diagnose

 

Luxatio sacrococcygea

Subluxatio sacroiliaca bilateralis

Fractura tuber ischiadicum

Fractura ossis pubis et ossis ischii

 

 

 

5. Differentialdiagnose

 

Aufgrund der Anamnese sowie der Befunde der Röntgenaufnahmen ist die Diagnose relativ eindeutig. Die Möglichkeit, daß die Frakturen durch tumoröse Veränderungen der Knochen begünstigt wurden, ist bei „x“ aufgrund der Untersuchungsbefunde unwahrscheinlich.

 

 

6. Ätiologie

 

Aufgrund der Vorgeschichte und der Tatsache, daß sich die Katze während des Freigangs verletzt hat, ist davon auszugehen, daß sie Opfer unserer heutigen Verkehrssituation wurde. Es ist anzunehmen, daß die unfreiwillige Begegnung mit einem Auto zum Einwirken physikalischer Noxen führte. Daraus resultierten großflächige Zug- oder Druckeinwirkungen, die letztendlich massive Gewebsverletzungen (Zerreißung der Beckenkreuzbeinbänder, Frakturen des Beckenrings sowie Luxation der Schwanzwirbel) zur Folge hatten.

 

 

 

7. Therapie

 

Die Luxation der Schwanzwirbel muß operativ versorgt werden, letztendlich kommt nur die Amputation des Schwanzes in Frage. Bei Amputationen sollten möglichst alle defekten Bereiche entfernt werden, was bei „x“ nicht möglich ist. In diesem Fall sollte der Schwanz im tastbaren Bereich, also etwa zwischen dem 4. und 5. Schwanzwirbel, amputiert werden. Dazu wird in Höhe der entsprechenden Zwischenwirbelscheibe ein halbmondförmiger Schnitt gemacht, wodurch zwei Hautlappen entstehen, die so groß sein sollten, daß sie spannungsfrei über dem Wirbelstumpf vernäht werden können. Der Schwanz wird nun mit der Zwischenwirbelscheibe abgesetzt. Die Adaption der Hautlappen erfolgt mit Knopfheften.

 

Auch die beidseitige Fraktur des Iliosakralgelenks muß operativ versorgt werden. Unter Inhalationsnarkose werden die Darmbeinflügel freigelegt und das noch intakte Gewebe zwischen Darmbein- und Kreuzbeinflügel durchtrennt. Der Gelenkknorpel des Iliosakralgelenks wird entfernt. Nun wird beidseitig das jeweilige Darmbein durch eine Zugschraube am Kreuzbeinkörper fixiert. Dazu wird in das Darmbein ein Gleitloch gebohrt. Der Durchmesser des Bohrers sollte dem Gewindeaussendurchmesser der Schraube entsprechen. In den Kreuzbeinkörper wird ein Gewindeloch mit dem Durchmesser des Schraubenkerns gebohrt. Die Zugschraube greift also nur im Kreuzbeinkörper. Die höchste Kompression wird erreicht, wenn die Zugschraube im rechten Winkel zum Frakturspalt einsetzt wird. Zum Wundverschluß werden die durchtrennten Muskeln an ihren Ursprüngen angenäht und Faszien, Unterhaut und Haut schichtweise verschlossen.

 

Die Fraktur des Sitzbeins und Schambeins wird durch die oben beschriebene Fixation ausreichend ruhiggestellt. Sie kann auf konservativem Weg durch Käfig- bzw. Zimmerruhe behandelt werden, die wegen der zusätzlich durchgeführten Stabilisierung der Iliosakralgelenke auf vier bis sechs Wochen festgesetzt werden sollte. Vorraussetzung für die gesamte Therapie ist, daß sowohl Kot- als auch Harnabsatz gewährleistet sind.

 

 

 

8. Prognose

 

Die Osteosynthese der Beckenfrakturen hat im allgemeinen eine günstige Prognose, wenn Harn- und Kotabsatz gegeben sind. Durch die auferlegte Käfigruhe kann es allerdings zu postoperativen Komplikationen wie z.B. Dekubitus kommen.

 

 

 

9. Epikrise

 

Gerade bei Autounfällen und Fensterstürzen sind Beckenbrüche sehr häufig. Die Tatsache, daß das Becken einen Ring bildet, hat zur Folge, daß an diesem Ring praktisch nie einzelne Frakturen vorkommen. Durch das Zusammendrücken der Ringstruktur entstehen zwangsläufig mindestens zwei Bruchstellen. Beckenbrüche sind häufig kompliziert, da sie mit Verletzungen empfindlicher, lebenswichtiger Weichteilstrukturen wie Blase, harnableitende Wege, Darmkonvolut und auch dem lumbosakralen Nervenplexus kombiniert sein können. Diese konnten bei dem Patienten nicht festgestellt werden.

 

Die bereits begonnene Antibiose sowie die Schmerzbehandlung sollte auch nach der Operation fortgeführt werden. Außerdem sollte zur Vermeidung eines Dekubitus während der Käfigruhe der Liegeplatz gut gepolstert sein. Der Kotabsatz kann durch Gaben von Paraffinöl erleichtert werden.

 

Sobald die Wundheilung abgeschlossen ist und gegen eine Teilbelastung des Beckens nichts einzuwenden ist, kann die vollständige Genesung des Tieres durch aktives Muskeltraining positiv beeinflußt werden. Dadurch wird die Muskulatur der Hintergliedmaßen, die sich während der Käfigruhe verhältnismäßig schnell zurückbildet, wieder aufgebaut.

 

Die am Becken eingesetzten Implantate müssen nur entfernt werden, wenn es zu Komplikationen wie z.B. Schraubenlockerungen kommt.

>