Hund-11 - Thoraco-lumbale chronische Discopathie, Prolaps disci

FALLBERICHT                                                                                                     

Klinik und Polyklinik

 

 

 

Anamnese

Anamnese laut Vorbericht vom 22.04.00.

Das Tier zeigte vor etwa 2 Monaten bereits eine Lahmheit der linken Hinterextremität ; nach antibiotischer Behandlung erfolgte eine Besserung der Symptomatik.

Der Einlieferung voraus ging ein Biß ( Lokalisation?) eines anderen kleinen Hundes, von diesem Zeitpunkt an erfolgte keine Belastung der genannten Gliedmaße mehr.

Vorstellung beim Haus-TA ergab röntgenologisch eine Verengung im Bereich der LW, eine entsprechende Aufnahme wurde nicht mitgebracht.

Bei Einlieferung im Klinikum war (Voruntersuchung) ein ausgeprägtes Schmerzempfinden palpatorisch festzustellen, welches jedoch bereits schon vor der für den nächsten Morgen angesetzten OP nicht mehr vorhanden war. Das Tier ist seit diesem Zeitpunkt beidseitig hinten gelähmt.

Die OP erfolgte am 23.04.00.

 

Signalement

Besitzer:           x

Rasse:  Pudelmischling (braun)

Alter:               etwa 6 Jahre (1.1.94)

Genus:  Rüde, nicht kastriert

Gewicht:           9 Kg

Rufname:         x

Kennzeichen:    keine

 

 


Status Präsens                     (Erstuntersuchung 28.04.00)

 

I.         Allgemeinuntersuchung

 

Puls:                          80/min             

Temperatur (rektal):   38.4°c             

Atmung:                    Frequenz 132/min., intervallartige Hechelatmung, costo- abdominaler Typ.

 

Habitus:                     Ernährungszustand        gut                                          

                                 Pflegezustand               gut,                                         

                                 Verhalten                     ruhig und aufmerksam             

Körperhaltung                          Parese beider Hinterextremitäten, keine Schwanzbewegung      

 

 

II.        Spezielle Untersuchung

Haut- und Haarkleid:

Hautelastizität ist physiologisch, Haarkleid leicht stumpf, wirkt jedoch gepflegt.

Ohren ohne auffälliges Cerumen, keine Markierungen, Tätowierungen o.ä.

Umgebung der Augen und Nase unauffällig.

 

Lymphonodi/ Schleimhaut (SH)

- Lnn. mandibulares und Lnn. poplitei sind palpierbar.

Größe, Form, Konsistenz und Verschieblichkeit sind o.b.B., eine Schmerzhaftigkeit liegt nicht vor.

- Schleimhäute:

Maulhöhle, Nase und Augen : Schleimhäute blaß, rosa, feucht. Keine Ausflüsse.

Analschleimhaut : blaß, rosa, etwas trocken

Kfz (Mundschleimhaut) < 2 sec.

 

 

Herz-Kreislauf

 

Puls:     Palpation an der V. coccygea ( V.femoralis konnte nicht palpiert werden) ergab eine Frequenz von 80/ min. Rhythmus regelmäßig, der Puls ist deutlich, das Gefäß gut gefüllt und gespannt.

Herzschlag und Pulswelle sind synchron.                      

 

Herz :            Spitzenstoß                   deutlich fühlbar                                               

                     Frequenz :                    76/min                                                            

                     Lautstärke:                   laut                                         

                     Rhythmus :                   regelmäßig

                     Abgesetztheit :              deutlich                       

            keine Herzgeräusche festgestellt.         

Respirationstrakt:    

-           Atemtyp: costo – abdominal, tendenziell abdominal verstärkt

-           Atemfrequenz von 132/ min., wobei die Auskultation durch die regelmäßigen Intervalle von

             Hechelatmung (etwa 8x/min.) erheblich erschwert ist

-           Atemgeräusche nicht zu beurteilen (ständiges Hecheln)

 

Verdauungsapparat:

-           Futteraufnahme: konnte nicht beurteilt werden

-           Maulhöhle :  Zahnstatus normal, lediglich Canini stark abgeschliffen. Keine Fremdkörper, keine

               Verletzungen.

-           Kehlkopf / Trachea : symmetrisch,

-           Abdomen (Palpation) : unauffällig, nicht schmerzhaft

-           Analregion : Sphincterreflex ist nicht auslösbar, SH wirken   trocken.

-           Kot : konnte nicht beurteilt werden

Urogenitale:

-           Präputium normal, kein Katarrh

-           Penisknochen palpatorisch unauffällig

-           Penis läßt sich ausschachten

-           bei leichten Druck auf das Abdomen spontaner Harnabsatz

 

Bewegungsapparat :

Die Adspektion in Bewegung muß der Sachlage entsprechend entfallen. Eine Fortbewegung ist dem Hund nur durch Ziehen mit den Vorderpfoten möglich. Die Adspektion in Ruhe läßt eine geringgradige Suppination der Vorderpfoten erkennen, die Krallen sind hier etwas zu lang.

Die Hinterextremitäten liegen gestreckt und unbewegt unter bzw. neben dem Körper.

Palpation der Gliedmaßen zeigt keine Auffälligkeiten. Die Gliedmaßen sind - je vorne bzw. hinten rechts und links im Vergleich - symmetrisch, Knochenpunkte und Gelenke unverändert, die Muskulatur gleichmäßig, allerdings hinten völlig schlaff.

 


Neurologischer Untersuchungsgang :         

Das Tier  ist aufmerksam und ruhig, Bewußtsein ungetrübt

 

Überprüfung des Sensoriums:

Pupillarreflex (N. opticus, N. oculomotorius)                          Þ Reaktion normal      

Drohreflex     (N. opticus, N. facialis)                                    Þ Reaktion normal      

Lid & Cornealreflex   (N.trigeminus, N. facialis )                    Þ Reaktion normal      

Kopfdrehen, (N.oculomotorius,N.trochlearis,N.abducens)        Þ Reaktion normal      

Geräusch ohne visus   (N. vestibulocochlearis)                        Þ Reaktion normal      

 

 

Überprüfung des Motoriums

- A) zentrales NS/ upper motoneurons (UMS)

           

 Stellreaktionen ( Überköten):

craniodexter   : schneller Ausgleich

craniosinister : schneller Ausgleich

caudodexter   : keine Korrektur

caudosinister : keine Korrektur

Schubkarrentest            Þ wurde mit Rücksicht auf den Zustand des Tieres nicht durchgeführt

 

Tischkantentest            Þ wurde mit Rücksicht auf den Zustand des Tieres nicht durchgeführt

- B) Peripheres NS / lower motoneurons (LMS)

  Flexorreflex :              vorne positiv ,  hinten sehr schwach

  Patellarreflex             sinister             Þ  sehr deutlich vorhanden      

                                   dexter               Þ schwach    

Tiefensensibilität ( Panniculusreflex)

Sensibilität ist beidseitig caudal der 10. Rippe nicht vorhanden.

Besondere Untersuchung :

Myelographie ( durchgeführt im Rahmen der Aufnahmeuntersuchung/ OP- Vorbereitung am 23.04.00)

n        Die Röntgenaufnahmen (lateral, dorsoventral sowie Schrägaufnahme; li. und re. je 45° anliegend) bestätigen den Vorbericht i.Bez. auf das Vorliegen einer Stenose im Rückenmarkskanal. Das eingebrachte Kontrastmittel ist cranial und caudal der Läsion (spatium intervertebrale vT 12/13) nach dorsal verdrängt. Im umgebenden Gewebe zeichnet sich eine ödematöse Schwellung ab.

n        Die Aufnahme läßt allerdings einen Bandscheibenvorfall nicht klar erkennen, hingegen sind Verkalkungen an wenigstens 4 Disci ersichtlich.

 

 

 

Zusammenfassung der Symptome

(hervorgehoben die diagnostisch entscheidenden Befunde)

regio analis:      SH etwas trocken

Puls:                 physiologischer Bereich bei 80 - 120 / min. der Befund der Erstuntersuchung (80) ist gerade noch im unteren Grenzbereich angesiedelt.

Herz:                Die befundeten Frequenzen sind innerhalb physiologischer Parameter ( 70 - 160 / min), allerdings tendenziell eher im unteren Bereich derselben.

Atmung:           Dyspnoe, Tachipnoe, Frequenz außerhalb der physiologischen Parameter (15 - 30/min). Intervallartiges Hecheln.

Urogenitale:   spontane Blasenentleerung bei leichtem abdominalem Druck.

Orthopädie:    vollständige Lähmung (Paralyse) der Hinterextremitäten, Muskeltonus schlaff.

Neurologie:    zentral:                       keine Korrektur der Stellreaktionen caudal

                        peripher:                    Hyperreflexie bei Patellarreflex linksseitig

                        Tiefensensibilität:      konstanter Ausfall rechts und links caudal von vT 13,

                        Sphincterreflex fehlt

Röntgenologisch zu erkennen Stenose im RM-Kanal, Läsion auf Höhe vT 12/13, diverse Calcifizierung der Disci, perineurale Ödematisierung.

Labor:  Werte vom 24.04.00;                            Leukocytose  (21000/µl, norm. 6000-12000/µl)

                                                                       Thrombozytopenie (124000/µl, norm. 2-5 x 105)

 

 

Diagnose

Es handelt sich um eine möglicher Weise hereditär bedingte (typische Lokalisation) thoraco-lumbale chronische Discopathie, in deren Folge einProlaps disci erfolgte. Der unmittelbarere traumatische Auslöser  ist in der vorausgegangenen Beisserei zu vermuten. Es resultiert eine ausgeprägte Paraplegie.

Es kann röntgenologisch nicht exakt differenziert werden, ob es sich um einen vollständigen Vorfall oder um eine Protrusion ohne Ruptur des anulus fibrosus handelt.

Die mit der Läsion begründeten mechanischen Irritationen gehen einher mit gestörtem Liquorfluß und Ödembildung aufgrund venöser Abflußstörungen.

Die befundeteLeukozytose ist ggf. Folge des entzündlichen perineuralen Ödems, sicher verstärkt das Ödem die RM-Kompression.

Fehlende Reflexe der Hintergliedmaßen sind ein Zeichen für eine Schädigung auch der Lumbosakralnerven.

 

Nebendiagnosen

Die Tachipnoe und das Hecheln sind wahrscheinlich auf eine Nebenwirkung der applizierten Glucocorticoide zurückzuführen.


Differentialdiagnose

n        Tumoren

n        Fraktur der WS

n        Luxation der WS

n        Myelitis

Alle genannten Differentialdiagnosen sind aufgrund der Röntgenuntersuchung / Myelographie auszuschliessen.

n        Hämatom

Anhand des Röntgenbefundes ist eine Differenzierung zwischen einem Ödem und einem Gewebshämatom nicht möglich.

 

Ätiologie der  Discopathie,     

Hereditäre Disposition für chondrodystrophe Rassen, bevorzugt im Alter von 4-6 Jahren, Läsion mit typischer Lokalisation zwischen vTh 10-L2, [im 11.-13 vTh nach anderen Quellen] cranial und caudal dieses Bereiches wegen der longitudinalen Ligamente unwahrscheinlich.

Myelographisch erkennbare verkalkte Bereiche entsprechen nekrotischem Bandscheibenmaterial, welches den anulus fibrosus durchbrechen kann. Ein Prolaps disci kann spontan auftreten, oft nach leichten Traumen .

Prognose       

Die Prognose ist insgesamt sehr ungünstig. Die auch postoperativ fortdauernde Hypo- bis Analgesie caudal der Läsion kann nur negativ bewertet werden. Ebenso ist der Schweregrad der Lähmung ( vollständige Parese) kein ermutigendes Faktum.

Eine Muskelatrophie der Hintergliedmaßen ist mit der Zeit zu erwarten.

Die röntgenologisch nachgewiesene Ödembildung stellt eine schwerwiegende Komplikation dar; Sie bewirkt eine weitere Verengung und damit Druckanstieg im Wirbelkanal.

Therapie

Die konservative Therapie (Ruhe, Wärme, Analgetikagabe, Ödembekämpfung, Gabe von Vit.B-Komplex – speziell B12) war in diesem Falle nicht mehr genügend, sollte aber postoperativ fortgesetzt werden.

Aufgrund der bereits einsetzenden Paraplegie wurde umgehend zum Zwecke RM-Dekompression chirurgisch eingegriffen (Hemilaminektomie, nach einem Vorfall ist die OP innerhalb von 12h vorzunehmen.)

Die Hemilaminektomie ist eine einseitige Eröffnung des Wirbelkanals. Dabei wird 1. durch partielle Eröffnung des Spinalkanals das RM dekomprimiert und 2. vorgefallenes Material entfernt. Auf eine zusätzlich erfolgende Discusfenestration wurde hier verzichtet; sie dient der Entfernung des restlichen Materials des Nucleus pulposus.

Epikrise         

Eine Nachuntersuchung am 01.05.00 ergab folgende von der Erstuntersuchung abweichende Befunde:

Der Puls frequentiert mit Frequenz 60/min  unterhalb der physiol. Grenzbereiche, ist schlecht palpierbar, schwach, aber regelmäßig.

Die Herzfrequenz mit 84/min ist physiologisch, Herztöne schlecht abgesetzt.

Atemtyp und Qualität unverändert, Frequenz um 128/min, damit viel zu hoch.

Kotabsatz konnte erfolgen,  ist unauffällig.

Die Temperatur (rektal) ist mit 39.1°c nur noch gering erhöht, nachdem das Tier zwischenzeitlich (lt. Klinikkarte) fiebrig war.

Der Ernährungszustand ist mäßig.

Neurologisch zeigt sich der Patelarreflex beidseitig sehr deutlich, die Tiefensensibilität ( Panniculusreflex) bleibt rechts unverändert (caudal der 10. Rippe nicht vorhanden),ist  links ab vL 5 nach cranial wieder vorhanden!

Damit zeigt sich der Patient als auf dem Wege der Besserung befindlich, was die unmittelbaren Folgeerscheinungen der Operation selbst angeht. Es ist zu erwarten, dass das Fieber in den nächsten Tagen vollständig verschwindet und - bei vorhandenem Appetit- der Ernährungszustand verbessert wird. Beobachtet und evtl unterstützt werden muß sicher die Entwicklung der Atmung sowie die Stabilisation des Kreislaufes (Pulsqualität).

Die neurologische Prognose muß weiter als schlecht betrachtet werden. Eine wirkliche Besserung der Symptomatik des Patienten kann nicht festgestellt werden, auch wenn die Zunahme der Tiefensensibilität auf der linken Seite Anlass zu einigen Hoffnungen gibt.

Leider konnte der Hund nicht noch ein weiteres Mal untersucht werden, er sollte am 02.05.00 die Station verlassen.

Eine Entscheidung zur Euthanasie ist dem Besitzer zu überlassen; bei Lokalisation zw. Th 10 und L2 entwickelt sich jedoch gelegentlich innerhalb einiger Monate selbständig  eine Hinterhandreflexmotorik, die ein Stehen und Laufen ermöglicht, wenn auch ohne Koordination mit den Vgldm.. Andernfalls bleibt der Hund gehunfähig und ist auf intensive Pflege angewiesen.

 

 

 

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