KRANKHEITSBERICHT
1.Anamnese
Am 22.09.1998 wurde der Patient in die Klinik für Klauentiere eingeliefert.
Das Tier war seit 3 Monaten krank und zeigte eine deutliche Umfangsvermehrung am
Unterkiefer, dessen Größe sich innerhalb der letzten 4 Wochen verdoppelt hat. Das Tier wurde nicht vorbehandelt. Am 23.10.1998 kalbte die Kuh ohne Komplikationen.
2. Signalement
Tierart:Rind
Rasse: DSB
Geschlecht: weiblich
Zahnalter: 2.5 Jahre
Abzeichen: durchgehende breite Blesse bis zum unteren Nasenrücken
Ohrmarke: x
Gewicht: 562 kg
3.Klinische Untersuchung ( Status Praesens )
3.1.Allgemeine Untersuchung
3.1.1. Haltung
Das Tier belastet alle 4 Gliedmaßen gleichmäßig.
3.1.2. Verhalten
Die Kuh ist ängstlich und mißtrauisch. Sie gerät leicht in Panik.
3.1.4. Ernährungszustand
In Anbetracht der Tatsache, daß die Kuh vor vier Tagen gekalbt hat, ist ihr Ernährungszustand als mäßig zu beurteilen.
3.1.5. Pflegezustand
Der Pflegezustand des Tieres ist gut.
3.1.6. Körperbau/ Entwicklungszustand
Der Entwicklungszustand ist dem Alter entsprechend.
3.1.7. Körperinnentemperatur
Die rektal gemessene Körperinnentemperatur beträgt 38.3°C.
3.1.8. Körperoberflächentemperatur
Ohrenspitzen, Flotzmaul, Extremitäten und die Schwanzspitze fühlten sich kühl an.Der Körper zeigte die physiologischen Kaltzonen.
3.2. Spezielle Untersuchung
3.2.1. Haut und Haarkleid
Das Haarkleid ist bis auf wenige Ausnahmen dicht, festanliegend, stumpf und glanzlos. Eine Zweimark-Stück große kahle Stelle befindet sich am Widerrist im Bereich der letzten Lumbalwirbel. Hinter dem linken Ohr befindet sich eine Fünfmark-Stück große kahle und teilweise mit Schorf bedeckte Stelle.
In Höhe des rechten Sprunggelenks liegt eine blutige Abschürfung, teils mit Kruste bedeckt.
3.2.3. Sichtbare Schleimhäute
Die Lidbindehäute, der sichtbare Teil der Nasenschleimhäute und die Maulschleimhaut sind rosafarben, feucht, glatt und glänzend. Die sichtbare Schleimhaut des Scheidenvorhofes ist gerötet. Eitrige Auflagerungen sind im Bereich der oberen Kommissur sichtbar. Außerdem hat die Kuh leicht blutigen Ausfluß.
3.2.4. Lymphapparat
Die Untersuchung der oberflächlichen, palpierbaren Lnn. Cervicales spf., Lnn. Subiliaci und der Lnn. Mammarii ergab keine Auffälligkeiten.
3.2.5. Kreislaufapparat
Die bei der Auskultation festgestellte Frequenz beträgt 69 Schläge pro Minute. Die Herzschläge sind kräftig und regelmäßig, systolischer und diastolischer Herzschlag sind gut zu unterscheiden. Die an der A. facialis palpierbare Pulsfrequenz entspricht der Herzfrequenz.
Die Episkleralgefäße sind deutlich konturiert und mittelgradig gefüllt.
Die V. jugularis ist anstaubar.
3.2.6. Atmungsapparat
Die Frequenz beträgt 36 Atemzüge pro Minute bei einem costoabdominalem Atmungstyp. Die Atmungsluft strömt gleichmäßig aus beiden Nasenlöchern aus.
3.2.7. Verdauungsapparat
Die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme der Kuh ist durch eine kindskopfgroße Umfangsvermehrung am Unterkiefer erschwert. Die Farbpalette der Geschwulst reicht von blaßrosa am Unterkieferrand bis dunkelrot- schwarz am vorderen Rand. Zum Ende hin flacht die Geschwulst scheibenförmig- rüsselartig ab. Sie ist nicht symmetrisch, sondern ufert rechts weiter aus als links. An einigen Stellen bricht die Haut auf und Blut tritt aus. Vorne im medialen Bereich befindet sich eine Fünfmark- Stück große nekrotische Stelle. Die linken drei Incisivi sind nicht mehr sichtbar, ebenso die ersten beiden rechten Incisivi, da sie komplett von der Geschwulst bedeckt sind. Von der Maulhöhle geht ein metallisch-blutiger Geruch aus. Der Palpationsbefund ergab, daß keine Schmerzhaftigkeit vorliegt. Die Umfangsvermehrung ist weder verschieblich, noch palpierbar oder vermehrt warm. Sie hat eine feste Konsistenz. Die Kuh speichelt sehr stark und kaut regelmäßig wieder.
Pansenkontraktion : ++
Steelband : -
Die Kuh setzt problemlos einen breiigen Kot ab.
3.2.8. Harnapparat
Das Tier setzt in physiologischer Körperhaltung Harn ab. Bei der Untersuchung des Spontanharns mittels Teststreifen ergaben sich folgende Werte :
PH : 5
Hb : ++
Keton :+
3.2.9. Geschlechtsapparat
Die Vulva steht senkrecht und geschlossen. Die Schleimhäute und der Ausfluß wurden im allgemeinen Teil besprochen. Das Euter zeigte keine Auffälligkeiten.
3.2.10. Bewegungsapparat
Die Untersuchung des Bewegungsapparates ist ohne besonderen Befund.
3.2.11. Nervensystem und Sinnesorgane
Es sind keine auffälligen Befunde zu erheben.
3.2.12. Sonstige Untersuchungen
3.2.12.1 Werte der Blutuntersuchung vom 28.10.1998:
Hb 99g/l
Hk 0.30 l/l
Ez 5.65 T/l
Lz 6.4 G/l
Stab. 2%
Segm. 37%
Lym. 60%
3.2.12.2 Röntgenaufnahme vom Unterkiefer
4. Diagnose
Die Geschwulst kann aufgrund der vorherigen Untersuchungen als Odontom bezeichnet werden. Um genauere Auskünfte hinsichtlich der biologischen Wertigkeit und der histologischen Genese zu erhalten, war eine histologische Untersuchung unerläßlich. Diese hat ergeben, daß es sich um ein Ameloblastom handelt. Das tumoröse Gewebe enthält neben unmineralisiertem und verkalktem Dentin auch primäre Zahnanlagen. Die Geschwulst ist benigne und zeigt ein invasives Wachstum. Sie ist von einer fibrösen Kapsel umgeben und weist Merkmale einer eitrigen Entzündung auf.
Desweiteren hat die Kuh eine leichte puerpurale bakterielle Infektion der Vagina.
5. Differentialdiagnose
Odontogene Geschwulste sind seltene Kiefergeschwulste, die sich von epithelialen und mesenchymalen Anteilen der Zahnanlage ableiten. Im Gegensatz zu ihrer Seltenheit steht der hohe Formenreichtum, der eine genaue Diagnose erschwert. Man unterscheidet zwischen weichen und harten Odontomen. Bei letzteren durchmischen sich Hartsubstanzablagerungen und bilden unregelmäßige Strukturen, welche aber keine Ähnlichkeit mit dem Zahnaufbau aufweisen.
Ein Ameloblastom ist eine gutartige, lokal invasiv wachsende, epitheliale Kiefergeschwulst die von den schmelzbildenden epithelialen Zellen der Zahnanlage ausgeht. Über die Ätiologie der Odontome existieren nur Hypothesen: Ein Trauma oder eine Infektion soll die regelrechte Entwicklung des Zahnes unterbrechen und in tumuröse Bahnen leiten.
Durch Vererbung oder Mutation soll eine Fehlentwicklung des Zahnes mit Fortentwicklung in ein Odontom stattfinden.
Aufgrund des Röntgenbefundes, der nicht nur Weichteilgewebe zeigte, sondern auch granulierte Verschattungsstrukturen, bedingt durch verstreute unregelmäßige Verkalkungen innerhalb der Masse, lassen sich folgende Differentialdiagnosen erheben:
Schuppenzellkarzinom (expansiver Tumor mit Einbeziehung von Alveole und Knochen, im Anfangsstadium mit ameloblastischem Odontom vergleichbar).
Zementom ( zeigt auch Verkalkungen im Röntgenbild )
6. Prognose
In Anbetracht der Tatsache, daß die Kuh noch frißt und einen guten Allgemeinzustand hat, dürfte eine Therapie erfolgsversprechend sein. Aufgrund der Trächtigkeit konnte eine Therapie nicht eher eingeleitet werden, doch nun darf keine Zeit mehr verloren werden.
Es gilt aber zu beachten, daß der Unterkieferknochen schon in Mitleidenschaft gezogen wurde, was Anlaß für weitere Komplikationen geben könnte.
7. Therapie
Als Therapie kommt nur eine vollständige Entfernung des Tumors mit eventueller Teilresektion des Unterkiefers in Frage.
Den Scheidenausfluß könnte man mit antibakteriellen Spülungen behandeln.
8.Weiterer Verlauf
Die Kuh wurde am 04.11.1998 operiert. Dabei wurde der Tumor umschnitten und abgesetzt. In seinem Innerem befand sich eine hühnereigroße Höhle, ebenso war eine apfelgroße Höhle im Unterkiefer vorhanden. Die Kuh wird mit Baytril behandelt und trägt einen Druckverband am Unterkiefer.
9.Epikrise
Da die Operation erfolgreich verlaufen ist und die Kuh wieder Nahrung aufnehmen kann, sind Aussichten auf einen günstigen Heilungsprozess gegeben.