Pferd-24 - Sandkolik

 

 

Krankheitsbericht - Pferd

 

 

 

 

 

 

I. Signalement

 

Bei dem Patienten handelt es sich um ein weibliches, fuchsfarbenes Traberfohlen mit weißem Stern und weißer Schnippe medioventral an der rechten Nüster. Die vordere linke Fessel und der hintere rechte Fuß sind ungleichmäßig halbweiß. Am linken Oberschenkel trägt es ein Brandzeichen x. Das Körpergewicht beträgt geschätzt ca. 200 kg. Als Geburtsdatum ist der 16.02.2000 angegeben. Der Rufname des Tieres ist "x".

 

 

II. Anamnese

 

Der aus der Karteikarte entnommene Vorbericht ergibt folgende Vorbehandlungen:

 

Das Pferd wurde am 30.10.2000 durch den Haustierarzt in die Klinik für Pferde eingewiesen. Das Tier zeigte seit einer Woche eine rezidivierende Kolik mit Hinwerfen, gegen den Bauch-Schlagen und Kreislaufproblemen. Die Behandlung erfolgte zunächst mit krampf-lösenden Medikamenten und Koffeinspritzen. Die Kotuntersuchung auf Parasiten und Sand war negativ. Vor drei Wochen wurden eine Wurmkur und die Influenza-Impfung durchgeführt, die Tetanus-Impfung steht noch aus. Am Tag der Einweisung zeigte das Tier einen guten Appetit.

Das Tier steht normalerweise auf einer Sandkoppel mit Stroh und wird mit Hafer, Müsli und Probiotika-Pellets gefüttert.

 

Die in der Klinik durchgeführte Rektaluntersuchung ergab weichen, geformten Kot in der Ampulle und eine Caecumobstipation. Die Sandaufschwemmung des Kotes war negativ.

 

Die Blutuntersuchung ergab folgenden Befund:

 

Haemoglobin       10,7                                                           Haematokrit                31

Erythrozyten        8,44                                                           Leukozyten                 8,8

Lymphozyten       50                                                              Monozyten                  1

Eosinophile Granulozyten                                         1

Stabkernige, neutrophile Granulozyten                     1

Segmentkernige, neutrophile Granulozyten              47

 

 

III. Status praesens

 

1. Allgemeinzustand

 

Bei der Untersuchung am 01.11.2000 zeigt sich das Tier munter und aufmerksam. Entwicklungs- und Pflegezustand sind als gut einzustufen, der Ernährungszustand ist mäßig (deut-liches Vortreten der Rippen). Es belastet alle vier Gliedmaßen gleichmäßig und steht mit erhobenem Kopf. Der Körperbau ist feingliedrig.

 

Die Rektaltemperatur beträgt 38,3°C.

Die palpierten Lymphknoten (Lnn. mandibulares, parotidei, retropharyngeales) sind unauffällig.

Die sichtbaren Schleimhäute sind hell- bis rosarot, feucht, glatt und glänzend. Die kapilläre Füllungszeit beträgt zwei Sekunden.

Das Haarkleid ist dicht, geschlossen und glänzend, die äußere Haut glatt, elastisch und trocken.

 

Die Herztöne sind deutlich hörbar, rein, gut voneinander abgesetzt und regelmäßig aufeinanderfolgend dar. Herzgeräusche lassen sich nicht feststellen.

 

Der Puls ist regelmäßig, gleichmäßig und mittelkräftig. Die Frequenz beträgt 32 Schläge pro Minute. Die A. maxillaris externa erscheint gut gefüllt.

 

Die Atmung ist costoabdominal, mäßig tief, ruhig und regelmäßig. Die Frequenz beträgt 12 Atemzüge pro Minute. Atemgeräusche lassen sich nicht feststellen.

 

Bei der Untersuchung der Maulhöhle konnten keine Anomalien festgestellt werden. In Ober- und Unterkiefer sind jeweils die Milch-Zangen (I1) und die Milch-Mittelzähne (I2) vorhanden. Der obere rechte Milch-Eckzahn (I3) ist im Durchbruch. Der Durchbruch des oberen linken Milch-Eckzahnes ist angedeutet (gerötete Zahnfleischkappe), aber noch nicht erfolgt. Das Tier ist somit mindestens sechs Monate alt (angegebenes Geburtsdatum: 16.02.2000).

 

Der Bauch ist beidseits weich und nicht druckempfindlich. Die Darmgeräusche sind in allen Vierteln gut hörbar. Der Kotabsatz ist ungestört, der Kot ist geballt und ohne sichtbare Beimengungen.

 

 

IV. Diagnose

 

·          Caecumobstipation durch Sandablagerung („Sandkolik“)

 

 

V. Differentialdiagnosen

 

Differentialdiagnostisch lassen sich einerseits Erkrankungen, die ebenfalls zu kolikartigen Symptomen führen, sowie andererseits unterschiedliche Ursachen, die zur Ausbildung einer Obstipation führen, abgrenzen:

 

1.    Krampfkolik (Colica spastica)

Eine Krampfkolik führt im allgemeinen zu plötzlich auftretenden, kurzzeitigen, äußerst schmerzhaften Kolikanfällen, häufig mit Absatz von breiigem bis flüssigem Kot. Die pe-ristaltischen Darmgeräusche sind zunächst verstärkt. Im weiteren Verlauf kommt es zu einem tonischen Dauerkrampf, der die Darmbewegungen unterdrückt, sodass dann keine oder nur sehr geringe Darmgeräusche zu hören sind.

 

2.    Windkolik (Meteorismus intestini)

Die Aufnahme von blähenden Futtermitteln wie z.B. Klee oder Luzerne führt zu einem exzessiven Gärungsprozess im Darm und zu dessen übermäßiger Ausdehnung. Diese bewirkt u.a. eine Behinderung der Atmung und der Blutzirkulation sowie eine sichtbare Vergrößerung des Bauchumfanges. Die Darmgeräusche sind zunächst verstärkt, später unterdrückt. Der Kot ist weich und mit Gasblasen durchsetzt.

 

3.    Embolisch-thrombotische Kolik

Grundlage dieser Kolikform sind Motilitätsstörungen und hypoxämische Krämpfe des Darmes als Folge einer Verstopfung der Darmarterien durch Strongylidenlarven und den daraus resultierenden Durchblutungsstörungen. Die dadurch bedingten Kolikanfälle treten häufig ohne jeden äußeren Anlass und unabhängig von der Futteraufnahme auf. Bei der rektalen Untersuchung sind zunächst keine Veränderungen festzustellen.

 

4.    Innere Verlegung des Darmes (Obturation)

Beim Fohlen kann das Darmlumen durch pflanzliche Konkremente, Fremdkörper, Parasiten (v.a. Spulwürmer) oder Entzündungsprodukte (Fibrinpfropf) stark verengt oder ganz verschlossen werden. Hierbei kommt es zu plötzlich auftretenden, andauernden Kolik-anfällen mit meist fehlendem Kotabsatz. Bei der rektalen Untersuchung sind der Mastdarm und das kleine Kolon meist leer, oft kann auch die Ursache des Darmverschlusses in den Endabschnitten des großen Kolons ertastet werden.

 

5.    Lageveränderung des Darmes

Erworbene Lageveränderungen des Darmes wie Torsion, Rotation, Flexion, Volvulus, Invagination, Inkarzeration, etc. führen ebenfalls zu einem teilweisen oder vollständigen Verschluss des Darmlumens. Die Folge sind mechanische Kompression, Durchblutungsstörungen und Hypoxämie. Je nach Ausmaß und Ort der Verlagerung kommt es zu wenig bis sehr schmerzhaften Kolikanfällen mit plötzlichen und anhaltenden Schweißausbrüchen und fehlendem Kotabsatz. Das Allgemeinbefinden ist stark verändert, Temperatur, Puls- und Atemfrequenz steigen an. Bei der Blutuntersuchung zeigt sich eine Erhöhung der Erythrozyten- und Leukozytenzahl sowie ein Anstieg des Hämatokrites.

 

 

VI. Ätiologie/Pathogenese

 

Als Obstipation bezeichnet man die Anhäufung und Eindickung der Ingesta (Anschoppung) in dem sich gleichzeitig erweiternden Darm, der dadurch zumindest für den Durchgang fes-ter Futtermassen verschlossen wird. Sie stellt eine der häufigsten Kolikformen des Pferdes dar und wird stark von Haltung und Fütterung beeinflusst.

 

Primäre (selbständige) Anschoppungen entwickeln sich bei länger dauernder Aufnahme von rohfaserreichem, zur Verfilzung neigendem Futter wie hartfaserigem Klee- und Luzerneheu, Stroh, Sand oder Erde. Unterstützend wirken ungenügendes Kauen und Einspeicheln, Zahnfehler, ungenügende Bewegung oder träge Peristaltik bei älteren Pferden. Prädilektionsstellen für die Anschoppung sind besonders die Übergangsbereiche von weit- zu eng-lumigen Darmabschnitten.

Sekundäre Verstopfungen entstehen vor anderen Hindernissen (Stenosen, mechanischer Ileus) und bei Darmlähmungen. Pathogenetisch unterscheidet man dabei zwei verschiedene Motilitätsstörungen, die Hypertonie (Spasmus) oder die Atonie eines Darmabschnittes.

 

Ist in den magenwärts gelegenen Darmabschnitten noch Peristaltik vorhanden, wirkt die Engstelle wie ein Sieb. Gasförmige und flüssige Bestandteile können passieren, die festen werden zurückgehalten und sammeln sich allmählich in größeren Mengen an. Die Ausdehnung der Darmwand bewirkt einen lokalen Darmkrampf und durch den Druck wird weiter Flüssigkeit ausgepresst. In Verbindung mit der resorptiven Tätigkeit der Schleimhaut führt dies zu einer zunehmenden Eindickung des Darminhaltes, und es entsteht ein immer fester werdender Pfropf.

 

Die Kolikerscheinungen sind bei den Dünndarm-Obstipationen in der Regel hochgradig, und der Verlauf ist stürmisch mit ausgeprägten Störungen des Allgemeinbefindens und des Kreislaufes.

Die Obstipation in den Blind- und Dickdarmabschnitten verläuft meist mit gering- bis mittelgradigen und oft von Pausen unterbrochenen Kolikanfällen. In Zusammenhang mit der Futteraufnahme oder der rektalen Untersuchung können allerdings auch heftigere Kolikerscheinungen auftreten.

 

Im vorliegenden Fall hat das auf einer Sandkoppel stehende Tier bei der Futteraufnahme auch jeweils kleine Mengen Sand aufgenommen, die sich mit der Zeit in immer stärkerem Maße im Blinddarm angehäuft haben. Aufgrund der Schwere und der mechanischen Trägheit des Darmabschnittes durch die aufgenommene Sandmenge trat primär ein Krampf des Sphincter caeci auf, und der Darminhalt staute sich im Blinddarmkopf vor dem Ostium caecocolicum an. Als Folge der daraus resultierenden Dehnung der Darmwand wurde die schlitzförmige Öffnung in die Länge gezogen und das Lumen dadurch zunehmend verkleinert. Schließlich rollte sich mit der stärkeren Füllung des Blinddarmkopfes dessen überhängender Teil gegen die kleine Kurvatur ein und komprimierte dort das Collum coli.

 

Der spastische Charakter der Blinddarm-Obstipation zeigt sich in diesem Fall auch in den gering- bis mittelgradigen Kolikerscheinungen (tonische Dauerkrämpfe) und der rektal festgestellten Hypertonie der Wand des Blinddarmkopfes.

 

Frische Obstipationen können bei entsprechender Behandlung innerhalb einiger Tage geheilt werden. Bei längerer Krankheitsdauer (über 14 Tage) oder drastischer Therapie kann sich infolge der Durchblutungsstörungen eine Nekrose der Darmwand und ein damit verbundener Austritt von Darminhalt entwickeln. Das Allgemeinbefinden verschlechtert sich, und es kommt zur tödlich verlaufenden Kotperitonitis.

 

 

VI. Therapie

 

Die Therapie der Caecumobstipation zielt vor allem auf die Verdünnung und Auflockerung des angestauten Darminhaltes, ohne durch Überlastung des Blinddarmkopfes durch eine zu große Flüssigkeitsmenge eine Blinddarmruptur zu verursachen. Besonders bewährt hat sich in diesem Falle die Behandlung mit Flohsamen (Plantago psyllium, Strauchwegerich). Die äußere Hülle der Samen enthält Schleimstoffe, die eine hohe Quellfähigkeit (Quellindex 10) und ein gutes Wasserbindungsvermögen besitzen. Dadurch wird der angestaute Ingesta-pfropf aufgelockert und kann nach und nach ausgeschieden werden. Psylliumsamen wirken abführend und peristaltikregulierend. Man gibt 20 – 30 Gramm/100 kg KGW, gelöst in ausreichend Wasser (50 Gramm auf 1,5 Liter) oral ein. In leichten bis mittleren Fällen ist eine Anwendung meist ausreichend. Psylliumsamen können zur Vermeidung einer erneuten Sandkolik ggf. auch prophylaktisch angewendet werden, wenn das Tier weiterhin auf einer Sandkoppel stehen soll.

Bei schmerzhaften Zuständen können zusätzlich Spasmoanalgetika (z.B. Buscopan compositum) verabreicht werden.

 

Die chirurgische Behandlung der Blinddarm-Obstipation ist zwar technisch möglich, aber insbesondere in primären und frischen Fällen meist nicht notwendig.

 

 

VII. Prognose

 

Die Prognose bezüglich des Lebens, der Genesung und der Wiederherstellung ist als güns-tig einzustufen.

 

 

IX. Epikrisis

 

Der Fohlen "x" wurde aufgrund des Verdachtes auf rezidivierende Kolik in die Klinik für Pferde überwiesen. Nach der Einstellungsuntersuchung konnte der Befund des zuvor behandelnden Haustierarztes weitestgehend bestätigt werden. Es handelt sich um eine Caecumobstipation durch Sandanschoppung („Sandkolik“). Trotz der negativen Aufschwemmprobe musste aufgrund der Haltungsbedingungen (Stehen auf einer Sandkoppel) und des Befundes der rektalen Untersuchung von dieser Diagnose ausgegangen werden.

Dem Tier wurden am 31.10.2000 50 Gramm Mukofalkâ (Psylliumsamen) verabreicht. Da-raufhin trat eine umgehende Besserung der Koliksymptome und eine Normalisierung des Kotabsatzes auf, sodass keine weitere Behandlung notwendig war. Das Tier konnte am 01.11.2000 wieder entlassen werden.

 

Der Besitzer des Pferdes sollte aber auf die Risiken einer Haltung auf Sand hingewiesen werden. Lässt sich eine andere Haltung nicht realisieren, sollte in regelmäßigen Abständen eine prophylaktische Gabe von Psylliumsamen erfolgen, um eine Ausschwemmung des im Dar

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