Pferd-19 - rezidivierenden Caecumobstipation

 

 

                      KRANKHEITSBERICHT PFERD

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ausgegeben am 3.Mai 2000

von Herrn x

 

 

 

 

1.    Anamnese:

 

Das Pferd hat seit einem halben Jahr Durchfall, der sehr viel Kotwasser enthält, und zeigt wiederholt leichte Kolikanzeichen.

Der behandelnde Tierarzt hat das Pferd zur Abklärung der Krankheitsursache in die Klinik überwiesen. Aufnahmedatum ist der 1.Mai 2000, der behandelnde Tierarzt ist Herr x

 

2.    Signalement: 

 

Das Pferd „x“ ist ein Sachsen-Anhaltiner Warmblut-Rappwallach.

Das Körpergewicht beträgt 440 kg; die Widerristhöhe wird auf 165 cm geschätzt.

Als Abzeichen trägt es eine auf der Stirn breit beginnende Blesse, die unregelmäßig nach rechts schmäler werdend verläuft und über der Nasenregion endet. Zwischen den Nüstern befindet sich rechts ein ca. 1-1,5 cm breiter unpigmentierter Fleck, der ebenso lang ist wie die Nüstern und schmal sichelförmig verläuft.

An den Hinterbeinen ist der Fuß beiderseits unregelmäßig weiß.

Das Pferd trägt auf der linken Hinterbacke den Sachsen-Anhaltiner Brand.

Bei der Zahnalterbestimmung wird ein rundlicher Zahnbogen festgestellt, die Molaren sind durchgebrochen. Die Incisivi des Unterkiefers sind komplett gewechselt, im Oberkiefer sind Zange und Mittelzahn gewechselt. Das Tier hat ein Zangengebiß. Anhand dieser Befunde wird das Pferd auf etwa viereinhalb Jahre geschätzt, was sich mit den Angaben des Einstellungsbogens deckt.

 

3.    Untersuchungsbefunde:

3.1           Allgemeinbefunde:

Die Pulsfrequenz beträgt 36 Schläge pro Minute, die Pulswellen sind regelmäßig und gleichmäßig.

Die Atemfrequenz beträgt 12 Atemzüge pro Minute. Der Atemtyp ist costoabdominal.

Die innere Körpertemperatur beträgt 38,3°C; die Temperatur der Körperoberfläche ist gleichmäßig verteilt und nimmt an Nasenrücken und distaler Gliedmaßenregion ab.

 

3.2           Status praesens:

Allgemeinverhalten: Bei der Vorstellung im Hörsaal ist das Pferd sehr aufgeregt und unruhig, so daß Herr Prof. Grabner die Untersuchung zunächst abbrechen muß. Das Pferd wird dann 15 Minuten longiert. Bei der anschließenden Untersuchung in der Box verhält es sich ruhig und aufmerksam.

Das Pferd steht aufrecht in der Box und belastet alle vier Gliedmaßen gleichmäßig.

Der Appetit ist nach Auskunft des Pflegepersonals gut.

Bei der Begutachtung des Pferdes ist am 3.Mai keine Umfangsvermehrung des Bauchraumes festzustellen; die Bauchdecke erscheint nicht übermäßig gespannt.

Beim Abhören im oberen rechten Viertel des Bauchraumes sind verminderte Einspritzgeräusche festzustellen.

 

Kot-und Harnabsatz: Während der Untersuchung setzt das Pferd einmal sehr dünnen, breiigen Kot ab, der viel Wasserbeimengungen enthält. An der Boxenwand sind ebenfalls Spuren diese wässrigen Durchfalls sichtbar. Harnabsatz konnte nicht beobachtet werden.

 

Schleimhäute: Die Maulschleimhaut ist blaßrosa, feucht, glatt und glänzend und ohne Auflagerungen, die Augenbindehäute zeigen den gleichen Befund.

Die Kapilläre Füllungszeit liegt unter zwei Sekunden.

 

Lymphknoten: Die Kehlgangslymphknoten sind im Durchmesser etwa einen halben Zentimeter breit, erbsenförmig und weisen bei fester Konsistenz eine unregelmäßige Oberflächenstruktur auf. Sie sind druckunempfindlich, gegen die Haut verschieblich und nicht vermehrt warm.

 

Konstitution,Kondition und Pflegezustand: Bei der Untersuchung fallen keinerlei konstitutionelle Mängel auf. Der Ernährungszustand ist als gut bis mäßig, der Pflegezustand als gut zu beurteilen.

 

Haut und Haarkleid: Das Deckhaar ist an der gesamten Körperoberfläche glatt, glänzend, dicht und anliegend. Falsche Abzeichen sind nicht sichtbar. Die Haut läßt sich problemlos vom Unterhautgewebe abheben, die dadurch gebildete Hautfalte verstreicht sofort.

 

3.3           Spezielle klinische Befunde:

Rektale Untersuchung: Bei der zuerst durchgeführten rektalen Untersuchung ist der Blinddarm im rechten bauchseitigen Viertel in Beckenrichtung ausgedehnt. Der Blinddarm ist deutlich erweitert, der Inhalt erscheint teigig. Der bauchseitige und der mittlere Bandstreifen, sowie die Poschen des Blinddarmes sind abtastbar.

 

 

 

Blutuntersuchung:

Erythrozyten:                                               8,07 Mio./ ml

Hämoglobin:                                            13,0 g / 100 ml

Hämatokrit:                                                              37 %

Leukozyten:                                                       7000 / ml

Eosinophile Granulozyten:                                        2 %

Stabkernige neutrophile Granulozyten:                     5 %

Segmentkernige neutrophile Granulozyten:            54 %

Lymphozyten:                                                          38 %

Monozyten:                                                                1 %

 

Verlaufskontrolle und weitergehende Untersuchungen:

Das Pferd ist vom 1.-15. Mai 2000 in der Klinik eingestellt. Am 5.Mai zeigt das Pferd morgens leichte Kolikanzeichen. Herr Hamann nimmt eine weitere Rektaluntersuchung mit folgendem Befund vor:

Ausräumen von sehr vielen kleinen harten Kotballen, beim Abtasten ist eine Wandverdickung des Blinddarmkopfes festzustellen.

Am 11.Mai wird eine Bauchspiegelung von Herrn x durchgeführt. Dieser Befund zeigt keine krankhaften Veränderungen im Untersuchungsgebiet. Am 15. Mai wird das Pferd aus der Klinik zur weiteren ambulanten Behandlung durch den überweisenden Tierarzt entlassen.

 

4.    Diagnose:

 

Das Pferd laboriert an einer chronisch rezidivierenden Caecumobstipation, die leichte Koliken und sowohl rezidivierende Diarrhoen von sehr wässriger Konsistenz, als auch den Absatz von kleinen harten Kotballen induziert.

 

5.    Ätiologie:

 

Es ist davon auszugehen, daß die chronisch rezidivierende Caecumobstipation dieses Pferdes durch Fütterungsfehler verursacht wird. Relativ zu hohe Kraftfuttergaben bei nicht angemessener Bewegung führen zu Hypoganglionie in der Caecumwand, wodurch der Vagotonus gesteigert wird. Es kommt zu einer verstärkten Darmmotilität und verminderter Wasserresorption. Der Wechsel von sehr wässrigen Durchfällen zum Absatz von kleinen, harten Kotballen sowie die gelegentlich auftretenden leichten Kolikerscheinungen werden somit erklärlich.

 

 

 

6.    Differentialdiagnosen:

 

Differentialdiagnosen sind:

a)    Colitis aufgrund einer unbehandelten Parasitose, zum Beispiel bei Infektion mit Kryptosporidien, Trichomonaden und kleinen und großen Strongyliden.

b)    Eine durch Antibiotika induzierte Diarrhoe, beispielsweise nach Tetrazyklin- oder Lincomycingabe.

c)    Eine bakterielle Enterocolitis, verursacht durch chronische Salmonellose, Rhodococcus equi-Befall, Dysbacteriose oder Dysbiose.

d)    Ein Malabsorptionssyndrom, das zu granulomatöser Enteritis führt.

e)    Invaginatio caecocolica.

f)      Dislocatio coli des großen Colons nach rechts zwischen Caecum und Bauchwand.

 

7.    Therapie:

 

Zur Behandlung der chronisch rezidivierenden Caecumobstipation werden zunächst per Nasenschlundsonde mechanisch und osmotisch wirksame Laxantien verabreicht. Im vorliegenden Fall wird Paraffinöl als mechanisches Laxans in einer Dosierung von 2 Litern pro 100 Kilogramm Körpergewicht alle 24 Stunden, verteilt auf zwei bis drei Anwendungen, verabreicht; Glaubersalz (5-%ige Natriumsulfat-Lösung) als osmotisch wirksames Laxans wird in einer Dosierung von 4 Litern in 24 Stunden, ebenfalls auf drei Anwendungen verteilt, gegeben.

Zusätzlich werden einmal täglich 2 ml Atropin sulfuricum als Parasympatholytikum über einen Zeitraum von fünf Tagen subcutan in die vordere Brustwand injiziert.

Als diäthetische Maßnahme wird das Pferd restriktiv alle zwei Stunden mit ausschließlich jeweils einer Lage Heu zur Motilitätssteigerung des Gastrointestinaltraktes gefüttert. Um das Fressen von Einstreuspänen zu verhindern, wird ein Maulkorb bereitgelegt. 

Ab dem 15. Mai wird dem Pferd Protexin verordnet; über Dauer und Dosierung der Medikation wird der Haustierarzt Herr x entscheiden.

 

8.    Prognose:

 

Die Prognose ist bei chronisch rezidivierender Caecumobstipation in jedem Fall vorsichtig zu stellen. Durch die aus der Krankheit resultierende Wandhypertrophie, verursacht durch die Zunahme der Tunica muscularis, kommt es zu einer Abnahme der Neuronen im Plexus myentericus, abhängig vom Grad der Ausdehnung und Ausprägung der Hypertrophie. Dadurch wird der Ingestatransport nach aboral verzögert oder kann vollständig sistieren. Diese Neuronenschädigung ist irreversibel, so daß ein erneutes Auftreten des Krankheitsbildes nicht ausgeschlossen werden kann. In jedem Fall muß die Fütterung diesem Zustand entsprechend angepasst werden, d.h. Reduzierung des hochverdaulichen Kraftfutters und ausreichende Versorgung mit strukturiertem Rauhfutter.

 

9.    Epikrise:

 

Das Pferd „x“ wird mit

 einer funktionellen Ileocaecalfunktionsstörung, genauer einer chronisch rezidivierenden Caecumobstipation, zur Sicherung der Diagnose in die Klinik eingestellt. Bei der rektalen Untersuchung wird im ventralen rechten Quadranten eine caudale Ausdehnung des Caecums diagnostiziert. Taeniae ventralis et medialis caeci sowie die Poschen sind rektal palpabel. Das Caecum ist in toto eklatant dilatiert. Der abgesetzte Kot enthält extrem viel Kotwasser.

Eine dislocatio coli ist auszuschließen, da die tastbaren Taenien vertikal und nicht horizontal verspannt sind.

Malabsorptionsstörungen sind aufgrund des relativ guten Ernährungszustandes auszuschließen. Eine antibiotische Vorbehandlung, die zu den o.a. Beeinträchtigungen führen kann, liegt nicht vor. Ob eine koproskopische Untersuchung auf Parasiten durchgeführt wurde, ist nicht bekannt; allerdings wird von einer regelmäßigen Entwurmung des Tieres ausgegangen. Eine Infektion mit Bakterien oder Protozoen ist wegen des guten Pflegezustandes sowie der physiologischen Blutwerte (Eosinophile Granulozyten, Linksverschiebung) und der physiologischen Körperinnentemperatur eher unwahrscheinlich.

Sollte sich der Zustand des Patienten nach der Behandlung nicht dauerhaft verbessern, sollte die Möglichkeit eines chirurgischen Eingriffes, etwa einer Erweiterungsplastik des Ostium Caecocolicums bzw. bei permanenten Rezidiven einer Totalexstirpation des Caecums, in Erwägung gezogen werden.

 

 

 

Berlin, den x. Mai 2000

 

 

 

 

>