Rind-05 - subakute bis chronische Polyperi- oder Polyarthritis

KRANKHEITSBERICHT

 

 

 

 

 

 

I ANAMNESE

 

 

Zum Zeitpunkt der Untersuchung war die Kuh bereits seit vier bis sechs Wochen krank. Sie hatte zuvor einen klammen Gang gezeigt, war wechselhaft inappetent und stand unwillig und schwer auf.

Seit dem 28.03.96 war sie als Patient in der Klinik für Klauentiere eingestellt.

 

 

 

II SIGNALEMENT

 

 

Tierart:Rind

Rasse:              DSB

Geschlecht:      weiblich

Alter:               7 Jahre

Abzeichen:       schwach ausgeprägter Schulter- und gut ausgeprägter Beckengurt

                        keilförmiger Stern auf der Stirn

                        weiße Schnippe über dem rechten Nasenloch

                        enthornt

Ohrmarken:      x

Stockmaß:       ca. 120 cm

Gewicht:          ca. 500 kg

 

 

 

III KLINISCHE UNTERSUCHUNG

 

 

1. Allgemeine Untersuchung

 

Die Kuh steht aufrecht in der Box, hat die Hinterbeine leicht unter den Körper gestellt und trippelt ständig hin und her. Sie bewegt sich sehr langsam und mit gesenktem Kopf.

Körperbau und Entwicklungszustand des Tieres sind dem Alter angemessen, die Rückenlinie fällt nach caudal ab. Ernährungs- und Pflegezustand sind mäßig bis schlecht.

Puls:                 80 Schläge pro Minute

Atmung:           40 Atemzüge pro Minute

Pansenkontraktionen:               3 mal in 2 Minuten, gut hörbar

Körperinnentemperatur:           38,9°C

Körperoberflächentemperatur:             Der Rumpf ist gleichmäßig wärmer als die Extremitäten, über einigen Umfangsvermehrungen ( s.u. ) ist die Haut vermehrt warm.

 

2.   Spezielle Untersuchung

 

 

2.1.  Haut & Haarkleid

Das Haarkleid ist mit Ausnahme von etwa fußballgroßen, rasierten Bezirken bilateral am Thorax und an den Kniegelenken geschlossen, an Hinterkopf und Hals jedoch sehr dünn. Das Haar ist anliegend und sehr stumpf. Die Kuh scheuert sich ausgiebig mit dem Kopf an der Boxenwand, was zu Haarbruch geführt hat und ein Hinweis auf Juckreiz ist.

Die Haut ist am Hals sehr faltig und verdickt, eine am Rippenbogen aufgezogene Hautfalte verstreicht mit leichter Verzögerung. Es finden sich diverse kleine Hautverletzungen an den Ellenbogen, am Proc. Xiphoideus sowie an den Hüft- und Sitzbeinhöckern.

In der Haut bzw. Unterhaut sind bis zu kindskopfgroße Umfangsvermehrungen zu erkennen:

Auf dem Widerrist befindet sich eine kindskopfgroße, derbe, nicht verschiebliche, nicht vermehrt warme und nicht schmerzhafte Umfangsvermehrung.

Auf beiden Seiten der Brustwand befinden sich jeweils in Höhe des Ellenbogengelenkes links im Bereich der sechsten bis neunten Rippe und rechts im Bereich der siebten bis elften Rippe je eine apfelsinengroße Umfangsvermehrung von derber bis fest-elastischer Konsistenz, die nicht verschieblich, jedoch vermehrt warm und schmerzhaft ist.

Die Umfangsvermehrungen im Bereich des Bewegungsapparates werden unter Punkt 2.9.beschrieben.

Die Klauen der Vordergliedmaßen weisen einen schlechten Pflegezustand auf, es haben sich Stallklauen in Form von Pantoffelklauen herausgebildet, der Zwischenklauenspalt ist erweitert. Die Klauen der Hintergliedmaßen sind beidseits mit Klauenverbänden versehen und entziehen sich somit einer detaillierten Beurteilung.

 

2.2.  Schleimhäute

Die Schleimhäute von Augen, Nasenöffnungen und Maul sind blaß, feucht, glatt und glänzend, die des Vestibulum vaginae ist blaß rosarot, leicht ikterisch und ebenfalls feucht, glatt und glänzend.

Die kapilläre Füllungszeit läßt sich aufgrund der Blässe der Schleimhäute nicht beurteilen.

 

2.3.  Lymphapparat

Die Kopflymphknoten lassen sich nicht palpieren. Die Buglymphknoten ( Lnn. cervicales supff.) sind beidseits etwa daumenstark und 6 cm lang, die Kniefaltenlymphknoten ( Lnn. subiliaci ) beidseits etwa fingerstark und 10 cm lang.

Die Euterlymphknoten ( Lnn. mammarii ) sind beidseits taschenuhrgroß.

Sämtliche palpierten Lymphknoten sind unter der Haut verschieblich, glatt, von prallelastischer Konsistenz und nicht schmerzhaft.

 

2.4. Kreislaufapparat

Der Herzspitzenstoß ist an der linken ventralen Brustwand fühlbar, wobei die Auskultation eine Frequenz von 80 Schlägen pro Minute ergibt. Die Herztöne sind sehr deutlich zu hören und besonders der erste besitzt einen metallischen Klangcharakter.

Die Herzaktion ist regelmäßig und die Herztöne sind deutlich voneinander abgesetzt, es sind keine Nebengeräusche wahrnehmbar.

Die Pulsfrequenz, palpiert an der A. facialis, entspricht der des Herzens. Der Puls ist regelmäßig und gleichmäßig, jedoch relativ schwach zu fühlen. Der Füllungszustand der Arterie ist mäßig.

Die Episkleralgefäße sind schwach gefüllt und deutlich konturiert.

Adspektorisch ist die V. jugularis bereits ohne Anstauen deutlich sichtbar und gefüllt. Bei der Stauprobe fließt das Blut herzwärts nur sehr langsam ab, desweiteren läßt sich ein schwacher positiver Venenpuls diagnostizieren.

 

2.5. Atmungsapparat

Adspektorisch ist eine relativ flache, rhythmische Atmung feststellbar, die Frequenz beträgt 40 Atemzüge pro Minute bei costoabdominalem Atemtyp. Die Bewegung des Brustkorbes ist symmetrisch, ebenso strömt die Ausatmungsluft aus beiden Nasenlöchern gleichmäßig aus, die Nasenöffnungen sind feucht, das Flotzmaul kühl.

Bei der Auskultation des Lungenfeldes ist überall ein leises bronchovesiküläres Atemgeräusch hörbar, die Schmerzperkussion bleibt ohne besonderen Befund.

 

2.6. Verdauungsapparat

Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme der Kuh erscheinen ungestört, der abgesetzte Kot ist von breiiger Konsistenz und oliv-brauner Farbe. Die Schleimhäute von Maulhöhle, Zahnfleisch und Zunge zeigen sich bei der Adspektion blaß und unversehrt.

Adspektion und Palpation von Schlundkopf und Schlund bleiben ohne besonderen Befund.

Das Abdomen ist symmetrisch, die Bauchdecke weist einen lockeren Muskeltonus auf.

Auskultatorisch lassen sich drei deutliche Pansenkontraktionen in zwei Minuten feststellen.

 

2.7. Harnapparat

Im Verlauf der Untersuchung setzt das Tier ungehindert Harn ab.

 

2.8. Geschlechtsapparat & Euter

Da im Vorbericht keine Hinweise auf ein Krankheitsgeschehen vorliegen, wurde auf eine ausführliche Untersuchung verzichtet.

Die Vulva steht senkrecht, ist symmetrisch, geschlossen und fein gefältelt. Aus dem Vorbericht gehen keine Informationen über Laktationsstadium und Milchleistung des Tieres hervor. Es handelt sich um ein Melkmaschineneuter mit gut geformten, etwa 5 cm langen Zitzen.

Die Oberflächentemperatur ist auf allen vier Vierteln gleichmäßig, die Hinterviertel sind physiologischerweise etwas wärmer. Die Euterhaut ist verschieblich und läßt sich überall problemlos abziehen. Das Drüsenparenchym ist von weich-elastischer Konsistenz.

Aus allen Vierteln läßt sich grobsinnlich unverändertes Sekret ermelken, der California Mastitis Test fiel folgendermaßen aus:                        VR  ++

                                                           VL  +

                                                           HR  +

                                                           HL  +

 

2.9. Bewegungsapparat

Die Kuh steht aufrecht in der Box, hat die Hinterbeine leicht unter den Körper gezogen und trippelt permanent hin und her, um die schmerzenden Beine zu entlasten.

Sie bewegt sich im Zeitlupentempo mit gesenktem Kopf und geht lahm auf allen vier Beinen

( klammer Gang ).

An den Vorderbeinen haben sich Stallklauen ausgebildet, der Kronsaum ist beidseits verdickt, weich, vermehrt warm und schmerzhaft. Beide Fesselgelenke sind auf etwa Kindskopfgröße angeschwollen, die Konsistenz dieser Umfangsvermehrungen ist fest-elastisch. Die Karpalgelenke, besonders das linke, sind ebenfalls geschwollen und weisen auf ihrer Dorsalseite zum Teil offene, bis zu handtellergroße Liegeschwielen auf. Die Konsistenz entspricht der der Fesselgelenke, das linke Karpalgelenk ist außerdem vermehrt warm und druckempfindlich.

Die Klauen beider Hinterbeine sind mit Klauenverbänden versehen, nachdem die Kuh an Rusterholzschem Klauensohlengeschwür und Limax behandelt worden war. Linksseitig weist das Fesselgelenk, rechtsseitig das Tarsalgelenk eine Umfangsvermehrung auf. Ebenso sind beide Kniegelenke in ihrem Umfang vermehrt, besonders laterodistal. Sie sind fest, im Randbereich leicht fluktuierend, gerötet, schmerzhaft und vermehrt warm

 

2.10. Nervensystem & Sinnesorgane

Abgesehen von der gedämpften Psyche des Tieres, die sicherlich durch den schlechten Allgemeinzustand und Schmerzen begründet ist, waren hier keine auffälligen Befunde zu erheben.

 

2.11. Sonstige Untersuchungen

Es wurde eine Blutuntersuchung durchgeführt:

Hb                   87 g/l

Hkt                  0,26 l/l

Ery                  5,64 T/l

Leu                  12,8 G/l

Thr                  967 G/l

 

 

 

IV DIAGNOSE

 

 

a)   symptomatische Diagnosen:

1.   subakute bis chronische Polyperi- oder Polyarthritis

2.   multiple subkutane Abszesse

 

Nebenbefunde:Rechtsherzinsuffizienz mit mangelndem Trikuspidalisschluß

                                   Anämie

                                   Exsikkose

                                   Mastitis catarrhalis subclinica

 

b)  ätiologische Diagnose:

Subkutane Abszesse am Rumpf können entstehen, indem Bakterien entweder die Haut penetrieren oder auf metastatischem Wege einen lokalen Entzündungsprozeß auslösen, der dann abgekapselt wird.

Als Erreger beim Rind kommen hier Actinomyces pyogenes, Streptokokken, Staphylokokken, Actinobacillus lignieresii, Mycobakterien oder ubiquitäre Fäulniskeime in Frage.

Da bei der Kuh weder Probepunktion noch bakteriologische Untersuchung vorgenommen wurden, läßt sich dies hier nicht mit Sicherheit sagen.

Zu Entzündungen bzw. Abszessen über Knochenvorsprüngen und Gelenken ( hier: Widerrist, Fesselgelenke, Carpus, Tarsus, Kniegelenke ) sowie Entzündungen an den Klauen kommt es zumeist durch haltungsbedingte Fehlbelastungen und Traumata, die dann als Technopathien bezeichnet werden. Für die Polyarthritis kommen drei verschiedene Infektionswege in Betracht: Perforierende Verletzungen wie Gabelstiche oder durch Nachbartiere, übergreifen von septischen Prozessen aus der Umgebung sowie hämatogene Metastasierung, die z.B. von den Klauenverletzungen ausgegangen sein kann.

Auch können die Umfangsvermehrungen aseptisch sein und durch stumpfe Traumata wie Sturz, Prellung, Quetschung, Stauchung hervorgerufen werden.

In diesem Fall läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich um echte Arthritiden, Periarthritiden oder Bursitiden handelt, da eine Röntgenkontrolle unterlassen wurde.

Sicherlich handelt es sich bei der Kuh um ein Tier aus der Anbindehaltung, so daß die Veränderungen durch ein zu niedriges Freßgitter ( Umfangsvermehrung am Widerrist ), zu hohe Futterkrippenkante, zu kurzen schlecht oder gar nicht eingestreuten Stand hervorgerufen wurden, wobei es sich vermutlich nicht um eine Einzeltiererkrankung sondern um ein Bestandsproblem handelt ( relativ zu großrahmige Tiere in zu kleinem Stall ).

Kommt es zu einer schmerzhaften Erkrankung eines Teiles des Bewegungsapparates, so werden die übrigen Gliedmaßen durch den Versuch der Entlastung einer Mehrbelastung ausgesetzt ( z.B. carpen bei Schmerzen der Hinterextremitäten ) und können dann ihrerseits erkranken.

 

 

 

V DIFFERENTIALDIAGNOSE

 

 

Auszuschließen, am Besten durch Punktion oder Biopsie, sind sämtliche Prozesse, die zu Tumoren im weiteren Sinne führen können, wie:     Hämatome

                                                                                  Geschwülste

                                                                                  Ödeme

                                                                                  Emphyseme

Aufgrund der Eindeutigkeit des klinischen Befundes und der vermuteten kausalen Genese kann die Diagnose jedoch auch ohne die o.g. Nachweismethoden erhärtet werden.

 

 

 

VI PROGNOSE

 

 

Aufgrund des multifokalen Auftretens der Veränderungen und der Tatsache, daß ein Übergehen des Entzündungsgeschehens auf die Gelenke nicht auszuschließen ist, ist die Prognose ungünstig.

 

 

 

VII THERAPIE

 

 

In der Klinik wurde die Kuh mit Penicillin-Streptomycin, Sulfamethoxim, Phenylarthrit und Kampfer ( lokal ) behandelt.

Eine weitere Behandlungsmöglichkeit bestünde nach Reifung der Abszesse in einer chirurgischen Spaltung und eventueller Drainage und Spülung der Gelenke mit physiologischer Kochsalzlösung oder Ringerlösung.

 

 

 

Je nach Wunsch des Besitzers und Ermessen des Tierarztes kommen folgende Möglichkeiten in Betracht:

1.   Versuch einer Wiederherstellung

2.   Versuch einer Erhaltung des Tieres zur Ausnutzung der gegenwärtigen Laktation oder bis zur Geburt des Kalbes

3.   Verzicht auf weitere Diagnostik und Therapie aus Kostengründen und baldmöglichste Schlachtung oder Euthanasie

In jedem Fall ist es, da es sich vermutlich um ein Bestandsproblem handelt, angezeigt, eine bestandsdiagnostische Besichtigung des Betriebes vorzunehmen und in Zusammenarbeit mit dem Landwirt eine Bestandssanierung im Sinne baulicher und zuchthygienischer Maßnahmen anzustreben.

 

 

 

VIII WEITERER VERLAUF

 

 

Bei einer Nachuntersuchung der Kuh am 15.04.96 zeigte sich der Allgemeinzustand des Tieres unverändert. Da sich die Abszesse und Entzündungen weiterhin als weitgehend therapieresistent erwiesen, wurde am 22.04.96 die Euthanasie vorgenommen.

 

 

 

IX EPIKRISE

 

 

Da die Abszesse für eine chirurgische Spaltung noch nicht reif waren und eine Eröffnung und Spülung sämtlicher Gelenke viel zu aufwendig gewesen wäre, wurde auf eine chirurgische Therapie verzichtet.

Da aufgrund der Mastitis und der unter Schmerzen und schlechtem Allgemeinzustand sicher geringen Milchleistung eine weitere Nutzung des Tieres nicht angezeigt war, sowie aufgrund der Frühträchtigkeit eine Erhaltung bis zur Geburt des Kalbes nicht effizient erschien, war die Tötung des Tieres aus kostensparenden und tierschützerischen Gründen sinnvoll.

Die Euthanasie wurde der Schlachtung vorgezogen, da das Fleisch wegen der multiplen Abszesse sowieso untauglich gewesen wäre, die Kuh abgemagert war und das Tier zur Einhaltung der Wartezeit ohne analgetische Therapie hätte bleiben müssen.

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