Pferd-26 - equine Herpesvirus-Enzephalomyelitis

 

 

9. Fachsemester                                                                     18.04.2000

                                                                                                         

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Krankheitsbericht

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Anamnese

 

Das Pferd ”x” von Herrn x zeigt seit 2 Jahren Bewegungsstörungen der Vor- und Hinterhand, die in den letzten Wochen zunahmen. Das Tier wurde daraufhin am 05.04.2000 in der Klinik für Pferdekrankheiten, allgemeine Chirurgie und Radiologie vorgestellt und stationär aufgenommen.

 

 

 

2. Kennzeichnung des Tieres

 

Farbe:                                    Brauner

Rasse:                                     Traber

Geschlecht:                            Stute

Zahnalter:                              ca. 3 Jahre

Abzeichen:                              keine


3. Untersuchungsbefunde

 

 

 

3.1 Allgemeinbefunde

 

innere Körpertemperatur:     37,3°C

Pulsfrequenz:                         32 Schläge / min

Atemfrequenz:                                    14 Atemzüge / min

 

 

 

3.2 Status praesens

 

Verhalten:                                          unruhig, Magnegebewegungen in der Box mit schwankendem Gang

 

Körperhaltung:                                  geringgradige Kopfschiefhaltung nach links

 

Appetit:                                              gut

 

Kotabsatz:                                          konnte während der Untersuchung nicht beobachtet werden

 

Harnabsatz:                            physiologisch

 

Schleimhäute:                                    Lid-, Maul-, Nasen- und Vaginalschleimhaut sind blaßrosa, feucht, glatt, glänzend und frei von Auflagerungen. Die Nüstern sind beidseits mit einer trockenen, grünlichen Masse verklebt.

 

KFZ:                                                  unter 3 Sekunden

 

Lymphknoten:                                    es wurden keine veränderten Lymphknoten festgestellt

 

konstitutionelle Mängel:                    Brust, Kruppe und Oberschenkel sind beidseitig schwach bemuskelt

 

Haut und Haarkleid:                          das Haarkleid ist an einigen Stellen struppig, ansonsten aber dicht, glatt anliegend und glänzend

 

 

 


3. 3. spezielle klinische Untersuchung

 

 

neurologische Untersuchung:

Im Schritt bewegt sich das Pferd schwankend und sucht Anlehnung an den Betreuer. Dabei fällt auf, daß die Vorhand sehr weit ausgreift. Die Eigenwahrnehmung des Pferdes ist nicht gestört, es ist in der Lage, Hindernisse zu erkennen und zu überwinden. Die Bewegungsstörungen können durch Verbinden der Augen verstärkt werden. Im Zuge der neurologischen Untersuchung wird weiterhin deutlich, daß die Reaktion des rechten Vorderbeins sowie die Oberflächensensibilität des linken Vorderbeins herabgesetzt sind. Die weitere Untersuchung der Haltungs- und Stellungsreaktionen, der Reflexe sowie der Sensibilität ergibt keine nennenswerten Ergebnisse.

 

 

Kotuntersuchung:

Durch eine parasitologische Kotuntersuchung wurde ein Ascariden- und Strongylidenbefall ausgeschlossen.

 

 

Röntgenbefunde und Myelographie:

Es wurde eine seitliche Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule angefertigt. Zur genauen Darstellung des Liquorraumes wurde am 11. April eine Myelographie unter Allgemeinanästhesie durchgeführt: Zur Narkoseprämedikamentation wurden dem 415 kg schweren Pferd 2 ml SedivetÒ (Romifidin) und 8 ml PolamivetÒ (L-Polamidon) i.v. injiziiert. Die Narkose wurde mit 4 ml Ketamin und 8 ml Diazepam eingeleitet und durch Inhalation mit Isofluran aufrechterhalten. In Narkose erfolgte die Punktion des Rückenmarkkanals mit Hilfe einer Bier-Kanüle an der vorderen Kante des Atlas. Es wurden 40 ml Liquor entnommen und anschließend ein wasserlösliches, jodhaltiges Kontrastmittel in den Liquorraum injiziiert. Daraufhin wurde erneut eine seitliche Röntgenaufnahme gemacht. Auf diesem waren keinerlei Einengungen oder Veränderungen des Rückenmarkkanals erkennbar.

 

 

Blutuntersuchung:

Hämoglobin:                                                               12,7 g / dl

Erythrozyten:                                                               7,9 x 1012 / l

Leukozyten:                                                                7,4 x 109 / l

Hämatokrit:                                                                 35 %

eosinophile Granulozyten:                                              2 %

stabkernige neutrophile Granulozyten:                4 %

segmentkernige neutrophile Granulozyten:        49 %

Lymphozyten:                                                             45 %

 


Liquoruntersuchung:

Zellgehalt:                                                                               445/3 Zellen pro µl

Lymphozyten:                                                             42 mg/dl

Pandy-Reaktion:                                                                     +++

Gesamteiweiß:                                                            98,8 mg/dl

CK:                                                                                        2 U/l

LDH:                                                                                      6 U/l

Laktat:                                                                        2 mmol/l

 

 

Untersuchung von Serum und Liquor auf Antikörper:

 

                                               ½         Serum  ½         Liquor 

                                               ½                                 ½

EHV-1            (IFT)               ½         1 : 2560           ½         1 : 20

                        (NT)                ½         1 : 20               ½      <1 : 10  

                                               ½                                 ½

EHV-4            (IFT)               ½         1 : 2560           ½         1 : 20

                        (NT)                ½         1 : 10               ½    <   1 : 10  

                                               ½                                 ½

FSME                         ½         negativ½         negativ

 

 

Luftsackendoskopie:

Die Luftsackendoskopie wurde am 12. April unter Sedierung mit 2,5 ml SedivetÒ (Romifidin) durchgeführt. Dabei wurden am Luftsackboden Follikel festgestellt.

 

 

 

4. Diagnose

 

- equine Herpesvirus-Enzephalomyelitis

 

 

 

5. Ätiologie

 

EHV1 und EHV4 können (in unterschiedlichem Ausmaß) sowohl den Atmungsapparat, den Geschlechtsapparat sowie das ZNS befallen und somit unterschiedliche klinische Verlaufsformen der Erkrankung bedingen. EHV4 verursacht hauptsächlich Erkrankungen der Atemwege (besonders bei Fohlen und Absetzern), während es durch EHV1 meist zu Virusaborten und zentralnervösen Formen kommt. Die Virusübertragung erfolgt direkt von Tier zu Tier oder aerogen durch Tröpfcheninfektion, da das Virus über das Nasensekret ausgeschieden wird. Außerdem ist eine Infektion über den Geschlechtstrakt möglich. Das Virusreservoir bilden latent infizierte Pferde, die lebenslang die Viren intermittierend ausscheiden.

Bisher nahm man an, daß es neurotrope EHV1-Stämme gibt, die während der Virämie bevorzugt das ZNS befallen und daher zu einer Enzephalomyelitis führen. Neuerdings wird allerdings die Möglichkeit diskutiert, daß es sich bei der equinen Herpesvirus-Enzephalomyelitis um eine Immunkomplexkrankheit handeln könnte, da es zu charakteristischen Veränderungen der Endothelien des Rückenmarks kommt. Zwischen EHV1 und EHV4 besteht eine Kreuzimmunität. Man vermutet, daß ein Boostereffekt in der Antikörperbildung ausgelöst wird, wenn auf eine persistiernde EHV1-Infektion eine EHV4-Infektion folgt. Dies bewirkt einen raschen Anstieg der Antikörper im Blut, wodurch es zu einer massenhaften Bildung von Immunkomplexen kommt, die sich in den Endothelien des ZNS ablagern. Die dadurch bedingte Enzephalomyelitis (in seltenen Fällen auch reine Myelitis) verursacht zentralnervöse Störungen wie Ataxien und Paresen, es werden auch häufig tödlich verlaufende Paralysen beobachtet.

 

 

 

6. Differentialdiagnosen

 

 

Bornasche Krankheit          

Die Bornasche Krankheit verläuft fiebrig, das Bewußtsein des Pferdes ist stark beeinträchtigt. Diese Symptome wurden bei „x“ nicht beobachtet. Das Ergebnis der virologischen Untersuchung steht noch aus.

 

 

Frühsommer-Meningoencephalitis

Dieser Verdacht wurde durch den Befund der virologischen Untersuchung ausgeschlossen.

 

 

Sarcocystiose

Diese protozytäre Enzephalomyelitis führt zu entzündlichen Veränderungen des Liquors, sie ist allerdings mit Fieberschüben und Allgemeinstörungen wie Appetitlosigkeit und Mattigkeit verbunden.

 

 

Vestibularsyndrom

Durch Schädigung des Nervus vestibularis kommt es zur Ataxie und Kopfschiefhaltung, allerdings auch zum Nystagmus, der bei diesem Patienten nicht ausgelöst werden konnte. Auch die Befunde der Liquoruntersuchung sprechen gegen diese Diffenentialdiagnose.

 

 

Luftsackdurchbruch

Dieser Verdacht konnte durch die Luftsackendoskopie ausgeschlossen werden.

 

7. Therapie

 

Eine kausale Therapie ist nicht möglich, letztendlich kann nur symptomatisch behandelt werden. Um die Reaktivierung der persistierenden Herpesviren zu verhindern, wäre der Aufbau und Erhalt eines spezifischen Immunschutzes in Form einer Notimpfung sinnvoll. Dies ist aber bei einer Herpesvirus-Enzephalomyelitis nicht möglich, da dadurch die vermutete Bildung von Immunkomplexen verstärkt werden würde. In diesem Fall bietet sich eine intensive Paramunisierung (z.B. mit Baypamun PÒ) an.

 

 

 

8. Prognose

 

Die Prognose ist vorsichtig zu stellen. Da bisher noch keine schweren Lähmungserscheinungen aufgetreten sind, besteht die Möglichkeit, daß sich das Pferd bis zu einem gewissen Grad erholt. Eine sportliche Nutzung bleibt aber fragwürdig. Eine Heilung im Sinne der Bekämpfung der Viren selbst ist nicht möglich, so daß dieses Pferd zeitlebens eine Infektionsgefahr für andere Pferde darstellt. Aus diesem Grunde sollte auch auf die weitere Nutzung zur Zucht verzichtet werden.

 

 

 

9. Epikrise

 

Die Stute wurde mit Bewegungsstörungen in die Klinik eingewiesen. Bei der Untersuchung wurde eine Ataxie der Vor- und Hinterhand mit Hypermetrie der Vorhand deutlich. Durch die weitere Untersuchung von Haltung, Reaktion und Reflexen konnte die Lage der neurologischen Störung eingegrenzt werden: Das Pferd ließ sich rückwärts richten und zeigte bei engen Wendungen keine abnorme Führung der Hinterhand, was gegen eine cerebellare Ataxie spricht. Auch eine spinale Ataxie ist unwahrscheinlich, da sich die Bewegungsstörung sowohl auf die Vor- als auch auf die Hinterhand bezieht. Diese Vermutung wurde durch die röntgenologische Untersuchung bestätigt: Bei der Myelographie konnte keine Kompression des Rückenmarkkanals festgestellt werden. Eine Lokalisation der neurologischen Störung im Großhirn bzw. Hirnstamm ist also als wahrscheinlich anzusehen.

 

Die Liquoruntersuchung ergab eine lymphozytäre Pleozytose, es liegt also eine nicht-eitrige Enzephalitis bzw. Enzephalomyelitis vor, die viral oder parasitär bedingt sein kann. Die Pandy-Reaktion war stark positiv, der Eiweißgehalt des Liquors ist also erhöht. Bei der virologischen Untersuchung des Liquors konnten EHV1- und EHV4-Antikörper mit Hilfe des Immunfluoreszenztests und des Neutralisationstests nachgewiesen werden. Dieser Befund sollte nach ca. zwei Wochen durch eine erneute virologische Untersuchung von Serum und Liquor kontrolliert werden. Wird dabei ein mindestens vierfacher Anstieg des Antikörpertiters festgestellt, können andere Infektionen sicher ausgeschlossen werden. Meist ist der Verlauf des Antikörpertiters allerdings irreführend, es kann zu gleichbleibenden oder sogar abfallenden Titern kommen.

 

Durch die Persistenz des Virus und die fehlende kausale Therapiemöglichkeit ist jederzeit die Reaktivierung des Virus und damit das Wiederaufflammen der Erkrankung möglich. Die equine Herpesvirus-Enzephalomyelitis ist allerdings im Gegensatz zu  anderen Herpesvirusinfektionen nicht ansteckend. Es müssen also keine Quarantänemaßnahmen eingeleitet werden. Dennoch ist prophylaktisch die regelmäßige Impfung des gesamten Bestandes sinnvoll, da EHV1 und EHV4 auch zum Virusabort bzw. zur Rhinopneumonitis führen können. Diese Erkrankungen können seuchenhaften Charakter annehmen und besonders in Zuchtbeständen zu hohen Verlusten führen.

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