Hund-18 - Myastenia gravis

 

 

 

 

 

        Krankheitsbericht

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

         Der 1.Signalement

 

Name:                                                   x

Tierart:                                                  Hund

Rasse:                                                   Jagdhund-Mix

Geschlecht:                                            männlich, unkastriert

Gewicht:                                    36 kg

Alter:                                                     ca. 1½ bis 2 Jahre

Besitzer:                                                x

 

 

 

2. Anamnese

 

Herr x fand das Tier vor einigen Tagen vor seiner Tür liegend. Der Hund ging vorn links lahm, außerdem litt unter Bewegungsstörungen: Er konnte nur einige Schritte laufen, dann krümmte er den Rücken auf, verfiel in einen staksigen Gang und sackte schließlich in der Nachhand zusammen. Die Bewegungsstörungen verschwanden nach wenigen Minuten Ruhe, bei erneuter Belastung traten sie jedoch wieder auf. Der Haustierarzt hat daraufhin eine Röntgenaufnahme des linken Ellbogengelenks gemacht und dort eine Arthrose diagnosdiziert. Wegen der Bewegungsstörungen wurde der Patient erstmals am 17.07.1999 in der Kleintierklinik vorgestellt.

 

 

 

3. Status praesens

 

 

 

allgemeine Untersuchung

 

 

Während der Untersuchung zeigt sich der Patient aufmerksam und an seiner Umwelt interessiert. Im Stand belastet er alle vier Gliedmaßen gleichmäßig, die Körperhaltung weist keine Auffälligkeiten auf. Der Ernährungszustand ist als gut zu bezeichnen, ebenso der Pflegezustand.

 

 

 

spezielle Untersuchung

 

 

·  Körperinnentemperatur:                 38,9 °C

·  Pulsfrequenz:                                   60 Schläge / min                     

·  Atemfrequenz:                                 28 Atemzüge / min

 

 

Haut und Haarkleid:

Das Haarkleid geschlossen, dicht, glatt anliegend und glänzend. Die Haut ist glatt und fest, eine aufgezogene Hautfalte verstreicht zügig und vollständig.

 

 

sichtbare Schleimhäute:

Die Maulschleimhaut ist blaßrosa, glatt, glänzend und ohne Auflagerungen, die kapilläre Füllungszeit liegt unter zwei Sekunden. Die Conjunctiven sind blaßrosa und mäßig feucht, die Kapillaren sind fein injiziert.

 

 

Lymphknoten:

Die oberflächlichen Lymphknoten sind adspektorisch unauffällig. Sämtliche palpierten Lymphknoten sind unter der Haut verschieblich, glatt, von prall-elastischer Konsistenz und nicht schmerzhaft.

 

 

Zirkulationsapparat:

Der Herzstoß ist bei der Palpation spürbar. Die Auskultation des Herzens ergibt eine Herzfrequenz von 60 Schlägen pro Minute. Die Herztöne sind von starker Intensität, gleichmäßig und gut voneinander abgesetzt. Es sind keine Herzgeräusche wahrnehmbar.

Die Pulsfrequenz, palpiert an der A. femoralis, entspricht der Herzfrequenz. Der Puls ist regelmäßig, gleichmäßig, stark und kräftig, es liegt eine physiologische Gefäßwandspannung vor.

 

 

Respirationsapparat:

Adspektorisch ist eine rhythmische, costoabdominale Atmung feststellbar, die Frequenz beträgt 28 Atemzüge pro Minute. Die Bewegung des Brustkorbes ist symmetrisch, die Ausatmungsluft strömt aus beiden Nasenlöchern gleichmäßig aus und ist geruchlos. Bei der Perkussion und Auskultation der Lunge sind keine Auffälligkeiten feststellbar.

 

 

Digestionsapparat:

Der Lippenschluß ist vollständig, die Umgebung der Maulhöhle ist sauber. Zunge und Maulschleimhaut sind unverletzt und frei von Auflagerungen. Die Palpation des Abdomens ergibt eine physiologische Bauchdeckenspannung.

Kotabsatz wurde während der Untersuchung nicht beobachtet, er ist aber laut Besitzer unauffällig, ebenso wie die Futter- und Wasseraufnahme.

 

 

Harn- und Geschlechtsapparat:

Harnabsatz wurde im Untersuchungszeitraum nicht beobachtet. Die Blase war fühlbar, aber unauffällig. Penis und Präputium zeigen keine Besonderheiten, auch die weitere Untersuchung des Harn- und Geschlechtsapparates ist ohne besonderen Befund.

 

 

Bewegungsapparat:

Im Stand belastet der Hund alle vier Gliedmaßen gleichmäßig. Die Krallen sind unterschiedlich abgelaufen, außerdem ist an beiden Vordergliedmaßen im Bereich des Humerus die Muskulatur atrophiert. Bei der Palpation der Muskulatur ist kein Schmerz auslösbar. Bei der passiven Beugung und Streckung der Gliedmaßen fällt eine Beugehemmung und Krepitation im linken Ellbogengelenk auf.

In der Bewegung ist vorn links eine Lahmheit feststellbar. Nach kurzer Beanspruchung werden die Schritte des Hundes kürzer, er krümmt den Rücken auf und bewegt sich hoppelnd fort. Es tritt Muskelzittern auf, kurz darauf sackt er in der Hintergliedmaße zusammen. Die Bewegungsstörungen verschwinden nach einigen Minuten Ruhe und kehren bei Belastung zurück. Bei der Prüfung der propiozeptiven Reflexe an den Hintergliedmaßen sind keine motorischen Ausfälle feststellbar.

 

 

Nervensystem:

Der Patient ist bei vollem Bewußtsein. Neurologisch ist er schwer zu beurteilen, es sind jedoch keine eindeutigen Ausfälle erkennbar. Bei der Untersuchung des Sensoriums sind keine Auffälligkeiten festzustellen.

 

 

 

weiterführende Untersuchung

 

 

Blutbild (19.07.1999):

 

              Erythrozyten                                 ½         7,25    Mio / ml          

              Hämoglobin                                   ½         17,8    g / 100 ml       

              Hämatokrit                                   ½         49,1    %                   

              Thrombozyten                               ½         304     Tausend / ml    

              Leukozyten                                   ½         8,2      Tausend / ml    

              Harnstoff                                       ½         32       mg / 100 ml     

             ­  Blutzucker                                     ½         107     mg / 100 ml     

              Na                                                  ½         148     mmol / l           

              K                                                    ½         4,5      mmol / l           

             ¯  Ca                                                  ½         2,7      mmol / l           

              AP                                                  ½         49       U / l                

              GPT                                               ½         31       U / l                

              CK                                                 ½         70       U / l                

                                                                     ½                                                       

              neutrophile Granulozyten             ½         67,4    %                   

              Lymphozyten                                ½         12,1    %                   

             ­   Monozyten                                    ½         19       %                   

 

 

Röntgen:

Am 19.07.1999 wurden von Thorax, Abdomen und Becken Röntgenbilder angefertigt. Dabei fiel auf, daß der Oesophagus im unteren Drittel abgeknickt erscheint. Dem Hund wurde daraufhin oral Kontrastmittel eingegeben und der Thorax erneut geröntgt. Auf diesem zweiten Röntgenbild ist ebenfalls die Einengung des Oesophagus erkennbar.

 

 

Tensilonâ-Test:

Am 19.07.1999 ein Tensilonâ-Test durchgeführt: Der Hund wurde belastet, bis er in der Nachhand zusammensackte. Daraufhin wurden ihm 2 mg Tensilonâ (Wirkstoff: Edrophonium) verabreicht, wodurch die Muskelschwäche sofort aufgehoben werden konnte.

 

 

Antikörpernachweis:

Am 19.07.1999 wurde Blut in ein Speziallabor geschickt, um als weiteren Schritt der Diagnostik die spezifischen Antikörper im Serum nachzuweisen. Dieser Nachweis wird mit Hilfe eines Immunfluoreszenztests durchgeführt. Das Ergebnis liegt noch nicht vor.

 

 

Oesophaguskopie:

Am 20.07.1999 wurde eine Endoskopie des Oesophagus vorgenommen, dabei zeigte sich eine unveränderte Mucosa. Hinter der Herzbasis war eine Lumenverengung feststellbar, die durch eine Arterie verursacht wurde, die entlang des Oesophagus verläuft. Der Verdacht auf intramurale Veränderungen wurde nicht bestätigt.

 

 

 

4. Diagnose

 

Myastenia gravis

 

 

 

5. Differentialdiagnose

 

Polymyositis: Bei einer Polymyositis wäre die Palpation der Muskulatur schmerzhaft. Außerdem wären die Muskelenzyme (CK, AST, LDH, ALD, MDH) deutlich erhöht. Diese Diagnose ist also auszuschließen.

 

Polyradikuloneuritis: Bei einer Polyradikuloneuritis kommt es wie in diesem Fall zu einer Hinterhandschwäche, die allerdings mit einer Muskelatrophie und dem Ausfall der Reflexe in den betroffenen Körpergegenden einhergeht.

 

Hypoglykämie: Da der Blutzuckerspiegel bei dem Patienten erhöht ist, kommt eine Hypoglykämie nicht in Frage.

 

Nebennierenrindeninsuffizienz: Die Nebennierenrindeninsuffizienz wird begleitet von Erbrechen, Anorexie und Durchfall, wodurch die Tiere abmagern und exsikkotisch werden. Die Laborbefunde sind meist Eosinophilie, Lymphozytose, relative Neutropenie, leichte Hypoglykämie, Hyperkaliämie, Hypochlorämie und Hyponatriämie. All diese Befunde konnten bei „x“ nicht erhoben werden.

 

Herzarrhythmie: Bei der Auskultation des Herzens konnten keine Arrhythmien festgestellt werden.

 

Herzinsuffizienz: Da die Untersuchung des Herzens keine Auffälligkeiten zeigte und auch auf dem Röntgenbild keine Veränderungen des Herzens festgestellt werden konnten, ist diese Diagnose auszuschließen.

 

 

Alle Differentialdiagnosen sind außerdem auszuschließen, da eine eindeutige Reaktion auf den Tensilonâ-Test stattfand.

 

 

 

6. Ätiologie

 

Myasthenia gravis ist eine Autoimmunkrankheit, bei der die neuromuskuläre Reizübertragung gestört ist. Dies kommt dadurch zustande, daß im Serum zirkulierende Antikörper die Acetylcholinrezeptoren der motorischen Endplatte blockieren und letztendlich zu einer Rezeptordegeneration führen. Es kommt zur belastungsabhängigen Ermüdung der quergestreiften Muskulatur, insbesondere der okulo-fazio-pharyngealen Muskeln. Dadurch kann es zur Schluck- und Atemlähmung kommen. Myasthenie tritt bevorzugt bei Deutschen Schäferhunden, Deutsch Drahthaar und anderen großen Rassen im Alter von 2 bis 4 Jahren auf. Bei anderen Rassen (Jack-Russell-Terrier, Foxterrier und Springer Spaniel) gibt es auch eine angeborene Form der Myasthenia gravis, ber der ein Mangel von Acetylcholinrezeptoren in der postsynaptischen Membran besteht.

 

 

 

7. Therapie

 

Seit dem 20.07.1999 erfolgt eine symptomatische Behandlung, d.h. der Patient erhält dreimal täglich 15 mg Mestinonâ (Wirkstoff: Pyridostigmin). Zusätzlich wird durch eine immunsuppressive Therapie mit einmal täglich 37,5 mg Prednisolon der Bildung von Autoantikörpern entgegengewirkt. Die Therapie wird auf Wunsch der Besitzer ambulant durchgeführt. Am 22.07.1999 soll eine Kontrolle erfolgen.

 

 

 

8. Prognose

 

Da in diesem Fall kein Megaoesophagus und kein vergrößerter Thymus vorliegt, ist die Prognose für den Patienten relativ günstig.

 

 

 

9. Epikrise

 

Eine Myasthenia gravis ist meist mit einer Oesophagusdilatation verbunden, die zu Schluckstörungen und Regurgitieren führt. In solchen Fällen ist die Prognose ungünstig, da es letztendlich zu Schluck- und Atemlähmungen und sekundär zu einer Aspirationspneumonie kommen kann. Da bei „x“ die Erkrankung früh erkannt wurde und kein Megaoesophagus diagnostiziert werden konnte, kann man davon ausgehen, daß die Muskelschwäche durch eine Langzeitbehandlung mit Mestinonâund Prednisolon symptomatisch aufgehoben werden kann. Da der Besitzer die Therapie ambulant durchführen lassen möchte, muß zu Beginn eine regelmäßige Kontrolle stattfinden, damit die Pyridostigmindosis möglichst niedrig eingestellt werden kann, um die parasympathomimetischen Nebenwirkungen zu minimieren. Später kann es im Laufe der Langzeittherapie zu einer Toleranzentwicklung kommen, so daß die Dosis dann wieder erhöht werden muß. Der Therapieverlauf an sich ist unterschiedlich: Die symptomatische Behandlung ergibt zwar sehr gute Ergebnisse, eine vollständige Heilung wird jedoch selten erzielt. Es ist also davon auszugehen, daß der Hund lebenslang auf Medikamente angewiesen ist.

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