Schwein-10 - Binneneber

 

Krankheitsbericht

 

 

 

 

1.     Anamnese

Das Ferkel wurde am 26.07.00 in der Klinik geboren. Am 24.10.00 wurde es wegen einer Asymmetrie im Sakralbereich vorgestellt. Ansonsten waren keine weiteren Auffälligkeiten bekannt.

 

 

2.     Signalement

Bei dem Ferkel handelt es sich um ein etwa 13 Wochen altes, männliches Mastschwein mit einem Gewicht von 32 kg. Es hat Stehohren, was auf einen Hybriden mit einer Dominanz des Deutschen Edelschweines  hindeutet. Die Hautfarbe ist einheitlich rosa.

 

 

3.     Status praesens

3.1.         Allgemeine Untersuchung

Das Tier ist lebhaft, aufmerksam, nimmt an seiner Umgebung teil und ist neugierig.  Es steht aufrecht und belastet alle vier Gliedmaßen gleichmäßig, die Rückenlinie ist gerade.

Es weist gemäß seinem Alter einen guten Ernährungs- und Pflegezustand auf.

Die Rüsselscheibe ist blaßrosa und feucht. Nasenausfluß oder Effloreszenzen sind nicht festzustellen.

Die Konjunktiven sind rosa-rot, feucht und ohne Auflagerungen. Die Episcleralgefässe sind fein gezeichnet und abgesetzt.

Die Maulschleimhaut ist blaßrosa, feucht, glatt, glänzend und ohne Auflagerungen.

Die KFZ liegt unter 2 Sec.

Die Ohren sind sauber und ohne Auflagerungen, die Ohrvenen sind gut gefüllt und schimmern bläulich.

Zum Zeitpunkt der Untersuchung beträgt die Körperinnentemperatur 39 °C.

Die Körperoberflächentemperatur ist gleichmäßig warm und fällt zu den Akren hin ab.

Pulsfrequenz beträgt 160 /Min

Atemfrequenz ca. 52 /Min

 

 

3.2.         Spezielle Untersuchung

3.2.1.   Haut und Haarkleid

Die Haut ist am ganzen Körper blaßrosa gefärbt und unpigmentiert.

Die Haare  sind kurz, mattglänzend, unpigmentiert und anliegend. Haarlose Stellen sind nicht sichtbar.

 


3.2.2.   Lymphapparat

Die Lnn. inguinales sind haselnussgroß, von derber Konsistenz, verschieblich, glatt und nicht schmerzhaft.

 

 

3.2.3.   Herz-Kreislauf-System

Die Auskultation des Herzens ergibt  am 24.10.00 eine Frequenz von 160 Schlägen /Min. Die Herztöne sind deutlich hörbar, regelmäßig und voneinander abgesetzt. Nebengeräusche sind nicht hörbar.

Die Pulsfrequenz entspricht der des Herzens, ist nur schwach an der Arteria auricularis fühlbar, aber regelmäßig und gleichmäßig.

Die Ohrvenen sind gut gefüllt, bläulich schimmernd und abgesetzt.

 

 

3.2.4.   Atmungsapparat

Die physiologischen vesikulären Atemgeräusche sind im oberen Thoraxdrittel gut zu auskultieren. Abweichungen oder Nebengeräusche, sowie Husten können nicht festgestellt werden. Der Atemtyp ist costo-abdominal. Frequenz und Rhythmus sind gleichmäßig und regelmäßig.

Die Rüsselscheibe ist feucht, glatt, glänzend und ohne Auflagerungen. Nasenausfluss ist nicht vorhanden.

 

 

3.2.5.   Verdauungsapparat

Der Patient zeigt ungestörte Futteraufnahme und hat guten Appetit. Der Kotabsatz erfolgt spontan und ohne Probleme. Der Kot ist leicht breiig aber noch geformt, von brauner Farbe und ohne Beimengungen von Futterresten oder Blut.

 

 

3.2.6.   Harn- und Geschlechtsapparat

Der Harnabsatz erfolgt spontan und impulsweise. Der Präputialdivertikel ist walnussgroß und gefüllt mit retiniertem Urin. Nach Ausdrücken der Urinmenge ist ein ebertypischer Geruch wahrnehmbar. Der Harn ist gelblich, klar und ohne Beimengungen.

Das Skrotum weist eine linksseitige Asymmetrie auf. Palpatorisch ist nur der rechte Hoden samt Nebenhoden zu erkennen. Es liegt keine Schmerzhaftigkeit vor.

Der Penis befindet sich in seiner physiologischen Lage und endet etwa drei fingerbreit vor der Präputialöffnung.

 

 

3.2.7.   Bewegungsapparat

Das Tier belastet im Stand alle vier Gliedmaßen gleichmäßig. An den Sprunggelenken sind geringradige Schwellungen auffällig.

 

 

3.2.8.   Nervensystem

Schädel und Wirbelsäule weisen in Haltung und Bewegung keine Abnormitäten auf. Das Tier zeigt ein angemessenes physiologisches Verhalten. Die Hautsensibilitätsprüfung ist positiv, ebenso Corneal-, Pupillar- und Analrefelx. Krämpfe und Lähmungen der Skelettmuskulatur sind nicht zu beobachten. Das Auge und der Gesichtssinn weisen keine Auffälligkeiten bzw. Einschränkungen auf.

4.     Zusammenfassung der Symptome

Die hochfrequente Atmung und Herztätigkeit sind auf die Aufregung des Tieres während der Untersuchung zurückzuführen und können somit außer acht gelassen werden. Auch auf die Schwellung der Sprunggelenke soll nicht weiter eingegangen werden, da sie dem Tier keine  Schwierigkeiten bereitet.

Wichtig für die weitere Behandlung ist die linksseitige Asymmetrie im Skrotalbereich.

 

 

5.     Diagnose

Die klinischen Befunde weisen auf einen angeborenen Defekt der Fortpflanzungsorgane hin. Der linke Descensus  testi ist unterblieben, während der rechte Hodenabstieg physiologisch stattgefunden hat.

Bei dem Patienten handelt es sich um einen Kryptorchiden oder anders ausgedrückt um einen  „Binneneber“.

 

 

6.     Differentialdiagnose

Aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes muß differentialdiagnostisch an Mikrorchie, Hodenektopie, vorangegangene Kastration, Aplasie oder Hypoplasie eines Hodens gedacht werden, da sie den Zustand des Kryptorchismus vortäuschen.

Die rektale Untersuchung der Größe der Bulbouretraldrüsen gibt in diesem Alter noch keinen Aufschluss über das Vorhandensein eines in der Bauchhöhle befindlichen Hodens. Zumal der rechte Hoden voll funktionstüchtig ist, fällt diese Art der Diagnostik aus.

Sicherheit gibt erst die mittels Inguinalschnitt durchgeführte Kastration mit Überprüfung der vorhanden geschlechtlichen Organteile.

Außerdem kommt eine einseitige Funikulitis mit gut verheilten Kastrationsnarben in Betracht, bei denen die Form der Samenstrangveränderung einen Hoden vortäuscht. Dies kann aber mit Hilfe der palpatorischen Befunde ausgeschlossen werden.

 

 

7.     Prognose

Die Prognose für das Überleben des Schweines ist sehr gut, da Kryptorchismus keinen lebensbedrohlichen Zustand darstellt, wohl aber einen Zuchtausschluss zur Folge hat.

Die Prognose zur Schlachttauglichkeit dieses 13 Wochen alten Mastschweins ist gut. Nach entfernen der Hoden noch vor dem Eintritt der Geschlechtsreife sind keine geschmacklichen  und geruchlichen Veränderungen des Fleisches nach dem Schlachten zu erwarten.

 

 

8.     Prophylaxe und Therapie

Aufgrund der erblichen Genese sind Wurfgeschwister, sowie die Eltern von der Zucht auszuschließen.

Die Kastration des Patienten ist zur Sicherung der Schlachttauglichkeit erforderlich.

Verlauf des Kastrationsvorgangs:

Der Patient wird mit einer Mischung aus 20mg/kg KM Ketamin und 3,2mg/kg KM Azaperon betäubt und mit beiden Hintergliedmaßen an einer Leiter fixiert. Das Operationsfeld wird im Bereich zwischen den Kniefalten, vom Skrotumansatz bis zum Nabel vorbereitet.


Nach 6-8 cm langen Hautschnitten beiderseits lateral des letzten Zitzenpaares wird mit dem Zeigefinger (dieser wird zu einem Haken gewinkelt) stumpf in die Tiefe präpariert, wobei die Leistenlymphknoten lateral umgangen und nicht freigelegt werden. Der nun freiliegende  äußere Leistenring wird auf das Vorhandensein eines Proc. vaginalis, der bläulich schimmert, überprüft, was auf der rechten Seite der Fall ist. Der skrotal gelegene rechte Hoden wird hervorgelagert, indem mit dem von medial unter den Proc. vaginalis geschobenen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand  Zug nach kranial ausgeübt wird, während Zeigefinger und Daumen der linken Hand den Hoden vom Skrotum her nach kranial schieben. Der Proc. vaginalis wird nun spiralig gedreht und zwischen Ring- und Kleinemfinger der linken Hand gehalten, während eine doppelte Ligatur aus Catgut fest und so proximal wie möglich angelegt wird. Das Aufdrehen hat den Zweck, das Vorpressen von Darmteilen beim Anlegen der Ligatur zu vermeiden. Jede Schleife der Ligatur wird so stark angezogen, daß der

M. cremaster durchschnitten wird, und dann verknotet. Die dazwischenliegende Gewebsbrücke sichert die Ligatur vor dem Abgleiten. Der Hoden wird nun ca. 1 cm distal der Ligatur mit der Schere abgesetzt. Der Stumpf wird nun soweit wie möglich in den Leistenkanal geschoben und der äußere Leistenring mit dem auch für die Ligatur verwendeten Material verschlossen. Es wird mit einer atraumatischen Nadel von lateral nach medial stechend eine Sultansche Diagonalheft gesetzt.  Durch diese Stichführung vermeidet man das Risiko die Arteria femoralis anzustechen, die im benachbarten Schenkelkanal verläuft.

In dem linksseitig  eröffneten Leistenring kann kein Proc. vaginalis aufgefunden werden. Deshalb wird ein zweiter 6-8 cm langer Hautschnitt lateral des zweiten inguinalen Zitzenpaares auf der linken Seite gesetzt und nach Eröffnung des Peritoneums mit dem hakengeformten Zeigefinger nach kranial und lateral an der Bauchwand entlang gefahren. Die Struktur des Proc. vaginalis samt Hoden und Gekröse fällt direkt in den explorierenden Finger und wird herausgelagert. Das Absetzten und die Leistenring-Haut-Naht erfolgt homolog zum ersten Hoden.

Bei der kranial liegenden Öffnung der linken Seite wird beim Schließen darauf geachtet, daß das Peritoneum mittels fortlaufender subepidermaler Naht unter Erfassung der Bauchmuskulatur verschlossen wird.

Ein antimikrobieller Schutz ist nicht erforderlich, er würde gegebenenfalls nur die Wundheilung stören.

 

 

9.     Epikrise

Bei dem Patienten handelt es sich um einen 13 Wochen alten und 32 kg schweren Binneneber. Nach einer komplikationlos verlaufenden OP sind für ihn beste Voraussetzungen für sein weiteres Leben als Mastschwein gegeben. Durch die frühzeitige Kastration – noch bevor die Geschlechtsreife mit etwa 4 Monaten eintritt – gibt es keine Bedenken gegenüber der Fleischqualität.

Die Nachuntersuchungen 2 und 6 Tage nach der OP ergeben eine Herzfrequenz von 120 Schlägen/Min, eine Atemfrequenz von 40 Zügen/Min und einer Rektaltemperatur von 39,5°C. Die Wundränder sind sauber, trocken und nicht übermäßig warm und deuten auf eine fortgeschrittene Wundheilung hin. Der Patient ist ruhig (nicht aufgeregt), munter und neugierig.

 

 

 

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