Klinik und Polyklinik für kleine Haustiere der FU Berlin
Ausgegeben am: 03.11.2000
Behandelnder Tierarzt: Tg.-Nr.:
Erstellt von: Matr.Nr. Matr.Nr.
Fachsemester: 8 Fachsemester: 8
Anamnese
Anamnese laut Vorbericht vom 28.10.00.
Das Tier zeigte seit 2 Tagen eine Kopfschiefhaltung nach rechts. Hinzu kommt eine Rotationsbewegung um die eigene Achse. Es erfolgte eine Vorbehandlung durch den HTA mit Chloramphenicol, Sterofundin, Predixon und B-Neuron.
Die Überweisung zur stationären Aufnahme erfolgte zwecks diagnostischer Abklärung einer Infektion mit E.cuniculi.
Zum Zeitpunkt der Erhebung des status präsens ist das Tier bereits seit 6 Tagen in stationärer Behandlung.
Signalement
Besitzer:
Rasse: Zwergkaninchen, grau
Alter: 01/ 1995
Genus: male, kastriert
Gewicht: Kg
Rufname: x
Kennzeichen: keine
Status Präsens (Erstuntersuchung 03.11.00)
I. Allgemeinuntersuchung
Puls: 180/min
Temperatur (rektal): 38.2°c
Atmung: Frequenz 172/min. , abdominaler Typ.
Habitus: Ernährungszustand gut
Pflegezustand gut
Verhalten sehr ruhig , teilnahmslos; reagiert auf Palpations/ Auskultationsversuche mit heftigen Drehungen um die Längsachse
Körperhaltung Kopf ca. 90° nach rechts verdreht
II. Spezielle Untersuchung
Haut- und Haarkleid:
Hautelastizität ist physiologisch, Haarkleid wirkt gepflegt.
Ohren ohne auffälliges Cerumen, keine Markierungen, Tätowierungen o.ä.
Umgebung der Augen und Nase unauffällig. Auge rechtsvertikaler Nystagmus.
Lymphonodi/ Schleimhaut (SH)
- Lnn. sind nicht palpierbar.
- Schleimhäute:
Maulhöhle, Nase und Augen : Schleimhäute blaß, rosa, feucht. Keine Ausflüsse.
Analschleimhaut : blaß, rosa, etwas trocken.
Kfz (Mundschleimhaut) < 3 sec.
Herz-Kreislauf
Puls: Palpation an der V. coccygea und V.femoralis erfolglos. Pulsus Cordis 180/min.
Herz : Spitzenstoß deutlich fühlbar
Frequenz : 180/min
Lautstärke: laut
Rhythmus : regelmäßig
Abgesetztheit : deutlich
keine Herzgeräusche festgestellt.
Respirationstrakt:
- Atemtyp: abdominal
- Atemfrequenz von 172/ min
- Atemgeräusche nicht zu beurteilen (zu schnell)
Verdauungsapparat:
- Futteraufnahme: konnte nicht beurteilt werden
- Maulhöhle : Zahnstatus soweit erkennbar normal. Keine Fremdkörper, keine Verletzungen.
- Kehlkopf / Trachea : symmetrisch,
- Abdomen (Palpation) : unauffällig, nicht schmerzhaft
- Analregion : SH wirken etwas trocken.
- Kot : unauffällig
Urogenitale:
- unauffällig
Bewegungsapparat :
Die Adspektion in Bewegung muß der Sachlage entsprechend entfallen. Das Tier bewegt sich kaum. Die Adspektion in Ruhe läßt keine Besonderheiten erkennen.
Palpation der Gliedmaßen zeigt keine Auffälligkeiten. Die Gliedmaßen sind - je vorne bzw. hinten rechts und links im Vergleich - symmetrisch, Knochenpunkte und Gelenke unverändert, die Muskulatur gleichmäßig, schwach ausgeprägt, hinten rechtsseitig schlaff.
Neurologischer Untersuchungsgang :
Das Tier ist ruhig, Bewußtsein wirkt getrübt.
Überprüfung des Sensoriums:
Pupillarreflex (N. opticus, N. occulomotorius) Þ Reaktion re verzögert
Drohreflex (N. opticus, N. facialis) Þ Reaktion normal
Lid & Cornealreflex (N.trigeminus, N. facialis ) Þ Reaktion normal
Kopfdrehen, (N.oculomotorius,N.trochlearis,N.abducens) Þ Reaktion normal
Geräusch ohne Visus(N. vestibulocochlearis) Þ Reaktion normal
Ohrgriff ® Reaktion normal
Überprüfung des Motoriums
- A) zentrales NS/ upper motoneurons (UMS)
Stellreaktionen ( Überköten):
craniodexter : verzögert
craniosinister : schneller Ausgleich
caudodexter : verzögert
caudosinister : verzögert
Schubkarrentest Þ wurde mit Rücksicht auf den Zustand des Tieres nicht durchgeführt
Tischkantentest Þ wurde mit Rücksicht auf den Zustand des Tieres nicht durchgeführt
- B) Peripheres NS / lower motoneurons (LMS)
Flexorreflex : normal
Patellarreflex sinister Þ normal
dexter Þ verzögert
Tiefensensibilität ( Panniculusreflex)
Sensibilität ist rechtsseitig vermindert.
Besondere Untersuchungen :
- Röntgen: es wurden keine Aufnahmen gemacht.
- Differentialblutbild/ klin. Chemie:
Es liegen vor die Resultate zweier Untersuchungen (30.10. und 03.11.00)
Urea | 78.8 | 50 |
Krea | 3.1 | 2.4 |
BZ | 101 |
|
GOT | 389 | 140 |
GPT | 69 | 73 |
GLDH | 6.2 | 3.1 |
AP | 82 | 122 |
Zusammenfassung der Symptome
(hervorgehoben die diagnostisch entscheidenden Befunde)
regio analis: SH etwas trocken
Atmung: Tachipnoe, Frequenz außerhalb der physiologischen Parameter (32-100/min).
Temperatur: knapp unterhalb der physiologischen Parameter (38.5-39.5°c)
Orthopädie: Muskeltonus hi. re. schlaff.
Neurologie: Sensorium: Pupillarreflex verzögert
zentral:keine Korrektur der Stellreaktionen caudal , cranial rechts.
Tiefensensibilität: rechtsseitig vermindert
Peripher: Patellarreflex re. verzögert
Labor:Nierenwerte erhöht : Urea 78.8 bzw. 50 (Norm 13-40)
Krea 3.1 bzw. 2.4 (Norm 0.8-2.9)
Leberwerte erhöht: GPT 69 bzw. 73 (Norm um 23)
GLDH erhöht 6.2 bzw. 3.1 ( Norm um 2.7)
AP erhöht 82 bzw. 122 ( Norm um 73)
Diagnose
Die beschriebenen Symptome sprechen für einen Befall mit Encephalitozoon cuniculi mit Manifestation in ZNS und Nieren.
Zur Begründung:
Charakteristisch sind die Encephalitis mit Schiefhaltung des Kopfes , die typische Ataxie (Drehungen um die Längsachse), der Nystagmus und der verzögerte Pupillarreflex sowie die Niereninsuffizienz.
Die Schiefhaltung um 90° sowie die Heftigkeit der Rotationsbewegungen sind als hochgradige Störungen aufzufassen.
Die Nierenwerte sind unphysiologisch erhöht (Soll: Urea < 40 mg/dl, Krea < 2mg/dl).
Ein Test auf Antikörper (Tuschetest) gegen E.cuniculi fiel positiv aus, die Diagnose kann damit als gesichert angesehen werden.
Nebendiagnosen
keine
Differentialdiagnosen
n Otitis externa und media
n Traumata der WS, torticollis
n Toxoplasmose
n
Ausschluß.
Eine Otitis wäre mit Sicherheit nur durch eine Röntgenkontrolle der bullae tympanicae auszuschließen; im Falle einer Otitis sollte dabei eine erhöhte Dichte in Folge entzündlicher Prozesse (Exsudate/ Abszedierungen) diagnostiziert werden können. Auf diese Untersuchung wurde jedoch verzichtet. Die klinische Untersuchung der Ohren und Gehörgänge erbrachte keine Anzeichen einer Otitis.
Auch Wirbelsäulenschäden wären letztlich röntgenologisch auszuschließen;
Toxoplasmose kann mit Encephalitis einhergehen; klinisch-symptomatisch wären in diesem Falle wässrig-purulente Exsudate aus Nase und Augen zu erwarten sowie Appetitlosigkeit, was in diesem Falle nicht beobachtet werden konnte.
Ätiologie der Encephalitizoonose (Nosematose),
Die Erkrankung ist die Folge einer unter Kaninchen recht weit verbreiteten Infektion mit dem intazellulär-parasitären Mikrosporidium Encephalitozoon cuniculi. Die Infektion kann klinisch inapparent bleiben, oder sich mit Manifestation am ZNS, den Nieren und/ oder den Augen (Uveitis) bemerkbar machen. In diesen Fällen lassen sich histologisch granulomatöse Veränderungen der betroffenen Organe nachweisen.
Die Verbreitung des Erregers (über dessen Sporen) erfolgt mit einiger Sicherheit über die Exkremente, in erster Linie mit dem Urin der Ausscheider.
Prognose
Prognostisch muß zunächst zwischen der ZNS- bzw. der Nierenmanifestation der Erkrankung differenziert werden.
ZNS: bei frühzeitiger Therapie besteht generell berechtigte Aussicht auf zumindest eine klinische Heilung mit Verschwinden der Symptome , wenn nach einer Woche deutliche Besserung erkennbar ist. Allerdings macht der Schweregrad der Symptome (Ataxie) diese Aussicht derzeit eher unwahrscheinlich.
Niere: für diesen Teil der Erkrankung muß die Diagnose ungünstig ausfallen. Auch bei alleinigem auftreten einer Niereninsuffizienz wären die Chancen auf klinische Heilung gering, in Zusammenhang mit der ZNS-Symptomatik sind sie sehr schlecht.
Zusammenfassend ist die Prognose also als ungünstig anzusprechen. Erschwerend kommt hinzu, daß der verursachende Erreger nicht eliminiert wird und Rezidivierung zu erwarten ist.
Therapie
Die Medikation erfolgt seit dem 28.10.00 mit Dexamethason (Dexasel, 1x 0,15 ml), Vitamin-B-Komplex ( B-Neuron, 1x 0.8 ml) und Infusionen mit Sterofundin (2x 40 ml). Zusätzlich wird Chloramphenicol (2x 0,3 ml) verabreicht und seit dem 02.11.00 auch Albendazol (1x 0,1 ml).
Dexamethason in niedriger Dosis zur Unterbindung der nichtpurulenten Encephalitis Chloramphenicol und Albendazol als antiparasitische Chemotherapeutika, Vitamin-B-Komplex zur Stimulation der neuronalen Regeneration, die Infusionen zur Kreislaufunterstützung und vor allem zur Substitution der Nierenperfusion.
Epikrise
Die zweite klinische Untersuchung am 06.11.00 sowie eine weitere am 10.11.00 erbrachten keine relevant von der Erstuntersuchung abweichenden Befunde, und damit auch keinerlei Verbesserung im Zustand des Tieres.
Eine Blutuntersuchung vom 10.11.00 resultierte mit einer leichten Verbesserung des Harnstoffwertes (46 mg/dl); allerdings auch ein Blutbild mit hypochromer Anämie (RBC 3.55, Norm 4-7; HGB 8.01, Norm ca. 12) bei gleichzeitiger Neutrophilie (76,1 %, Norm bis 55%) und Lymphozytopenie (23 %, Norm 39-89%).
Insgesamt resultierte ein HCT von 25,6% (Norm 39-41%).
Beides kann in Verbindung mit der Infundierung gesehen werden, zwar konnten die Nierenwerte gesenkt werden, jedoch nur zu Lasten des HCT. Die Lymphozytopenie ist hinsichtlich des Immunstatus' gegenüber E. Cuniculi ein weiteres negatives Faktum.
Aufgrund der ausbleibenden klinischen Besserung des Patienten wurde eine Euthanasie vorgenommen.