Hund-15 - Glaukom, Cataracta senilis, Corneadefekt

Krankheitsbericht - Kleintiere

 

 

 

 

 

 

 

I. Signalement

 

Bei dem Patienten handelt es sich um einen männlichen, kastrierten Hund der Rasse Shi-Tzu mit beige-braunem Fell. Das Körpergewicht beträgt ca. 8 kg. Als Geburtsdatum ist der 03.10.1989 angegeben. Der Rufname des Hundes ist "x".

 

 

II. Anamnese

 

Der aus der Karteikarte entnommene Vorbericht ergibt folgende Vorbehandlungen:

 

07.07.1999            Das Tier wurde aufgrund eines Glaukomverdachtes in die Klinik für kleine Haustiere überwiesen. Seit ca. einem halben Jahr hat das Tier einen Grauschleier über dem rechten Auge. Seit einem Tag ist das Auge gerötet und das Tier apathisch. Der intraokulare Druck (IOP) beträgt rechts 44 bzw. 39 mm Hg und links 14 mm Hg. Der Fundus des rechten Auges ist atrophisch, und es besteht ein diffuses Corneaödem. Die Gonioskopie ergibt eine Goniodysplasie bei sehr engem Kammerwinkel. Rezept Trusopt â(Dorzolamid-HCl)

12.07.1999            Bei der Kontrolluntersuchung beträgt der IOP im rechten Auge 36/40/42 und im linken 21 mm Hg. Der behandelnde Tierarzt rät zu einer Skleraprothese. Zusätzlich zu dem bereits eingesetzen Trusoptâ wird Latanoprostâ verschrieben.

19.07.1999            Bei der Wiedervorstellung ist das rechte Auge seitlich weniger gereizt, der IOP beträgt 17 mm Hg. Die Medikamente sollen zunächst weiter verabreicht werden.

20.08.1999            Der Hund kneift auf dem linken Auge. Es wird ein ventromedialer, oberflächlicher Hornhautdefekt mit kleinem Läppchen festgestellt. Dieses wurde unter Lokalanästhesie entfernt. Der IOP beträgt 15 mm Hg.

23.08.1999            Das linke Auge ist nicht mehr schmerzhaft. Der IOP beträgt 8 mm Hg im linken und 31 mm Hg im rechten Auge. Rechts sind vitreale Blutungen festzustellen. Der behandelnde Tierarzt rät nochmals zur Operation (Bulbusexstirpation oder Skleraprothese).

27.09.1999            Stationäre Aufnahme des Tieres zur Operation (Skleraprothese) am rechten Auge.

28.09.1999Entlassung, Rezept Baytril, Rimadyl und Polyspectran

11.10.1999            Bei der Kontrolluntersuchung erscheint die Prothese reizlos. Der IOP am linken Auge beträgt 14 mm Hg.

09.11.1999            Bei der Wiedervorstellung zeigt sich die Prothese reizlos. Der IOP am linken Auge beträgt 12 bzw. 15 mm Hg.

 

 

 

 

III. Status praesens

 

1. Allgemeinuntersuchung

 

Bei der Wiedervorstellung am 03.01.2000 zeigt sich das Tier munter und aufmerksam. Ernährungs-, Entwicklungs- und Pflegezustand sind als gut einzustufen.

 

2. Spezielle Untersuchung der Augen

 

Am rechten Auge ist eine schleierartige Trübung der Hornhaut festzustellen. Diese ist in der oberen Hälfte der Cornea deutlicher ausgeprägt als in der unteren. Oben zeigt sich eine fast vollständige, wolkige Trübung, während die Trübung im unteren Teil eher streifig erscheint. Weiterhin ist das rechte Auge braun pigmentiert.

Bei Untersuchung des linken Auges läßt sich eine deutliche Linsentrübung erkennen. Der intraokulare Druck, gemessen mit dem Schiötz-Tonometer, beträgt 13 mm Hg. Gemäß Aussage von x wurde ein Fluoreszein-Test durchgeführt, der einen oberflächlichen, zentral liegenden Hornhautdefekt erkennen ließ.

Aus beiden Augen tritt klarer, dünnflüssiger Ausfluß in geringer Menge. Die Konjunktiven beider Augen sind rosarot, feucht, glatt und glänzend. Die Episkleralgefäße sind fein gezeichnet und mäßig gefüllt.

Weitere Untersuchungen wurden nicht vorgenommen.

 

 

IV. Diagnosen

 

·   Chronisches Primärglaukom des rechten Auges aufgrund kongenitaler Goniodysgenesie

·   Altersbedingte Linsentrübung (Cataracta senilis) des linken Auges
(Nukleussklerose)

·   Oberflächlicher Corneadefekt des linken Auges

 

 

 

V. Differentialdiagnosen

 

Differentialdiagnostisch lassen sich einerseits Erkrankungen, die ebenfalls zu einer nicht-glaukombedingten Erhöhung des intraokularen Druckes führen, sowie andererseits unterschiedliche Ursachen, die zur Ausbildung eines Glaukoms führen, abgrenzen:

 

1.    Fremdkörper

Eine Fremdkörpereinwirkung kann ausgeschlossen werden, da kein tiefgehender Corneadefekt festgestellt werden konnte.

 

2.    Trauma

Ein nicht-perforierendes Trauma am Bulbus durch einen Schlag oder Stoß kann die Ausbildung einer Iridocyclitis (Uveitis anterior) sowie Risse in der Ciliarkluft nach sich ziehen. Diese werden durch Bindegewebe repariert und führen zu Funktionsverlust und damit u.a. zum gestörten Abfluß des Kammerwassers. Dies konnte nicht verifiziert werden.

 

3.    Linsenluxation

Die Linsenluxation ist die häufigste Ursache für ein Sekundärglaukom. Dabei kann die Linse in die vordere oder in die hintere Augenkammer verlagert sein. Dadurch kann es zu einem Verschluß der Pupille kommen, so dass der Durchtritt des Kammerwassers nicht mehr oder nur reduziert möglich ist. Eine Linsenluxation kann daher auch mit einer Erhöhung des intraokularen Druckes, Rötung und Corneaödem einhergehen. Allerdings sind vollständige Linsenluxationen leicht zu diagnostizieren, da die Linse bei einer Verlagerung in die vordere Augenkammer (Luxatio lentis anterior) im Ganzen und bei einer Verlagerung in die hintere Augenkammer (Luxatio lentis posterior) als halbmondförmiger Streifen im ventralen Bereich sichtbar ist.

Eine gelockerte Linse (Subluxatio lentis) führt nur selten zur Glaukombildung, da die Linse zum Teil noch am Halteapparat verankert ist und so die Pupille nicht vollständig verschließen kann. In vielen Fällen zieht aber ein Glaukom eine Subluxation nach sich.

Eine Linsenluxation lag nach dem Vorbericht nicht vor.

 

4.    Uveitis anterior

Eine Uveitis anterior (Iridozyklitis) geht in der Regel mit einer Trübung des Kammerwassers aufgrund des hohen Eiweißgehaltes, einer Engstellung der Pupille (Miosis) sowie einem normalen oder erniedrigten intraokularem Druck einher. Sie läßt sich in der akuten Form deutlich von einem Glaukom abgrenzen. Bei der chronischen Uveitis kommt es allerdings, ebenso wie bei einem chronischen Glaukom, zur Einsprossung von Gefäßen in die Cornea (Neovaskularisation). Hier ist die Differenzierung v.a. über die Tonometrie möglich.

 

5.    Ulcus corneae

Hierbei handelt es sich um einen Substanzverlust der Hornhaut aufgrund bakterieller oder viraler Infektionen, Pilzerkrankungen, neurotrophischen Störungen oder Mangel an praecornealem Tränenfilm. Die Hauptsymptome sind Schmerz, Blepharospasmus, Lichtscheu, Epiphora, Corneaödem und eine unregelmäßige Hornhautoberfläche, die durch den Fluoreszein-Test nachgewiesen werden kann.

Am rechten Auge des Patienten wurde zwar ein Corneaödem, aber kein Hornhautdefekt festgestellt.

Am linken Auge handelt es sich nur um einen vermutlich traumatisch bedingten, oberflächlichen Corneadefekt.

 

6.    Intraokulare Neoplasie

Intraokulare Neoplasien sind in der Regel Primärtumore, seltener Metastasen. Dabei treten vor allem Melanome, Adenome, Adenokarzinome oder Lymphosarkome auf. Durch den raumfordernden Prozeß kommt es zur Verlegung des Kammerwasserabflusses und damit zum Sekundärglaukom.

Dies konnte hier allerdings nicht als primäre Ursache diagnostiziert werden.

 

7.    Retrobulbärer Prozeß

Auch retrobulbäre Prozesse, wie z.B. ein von einem Zahnwurzelgranulom ausgehender Abszeß oder einer retro- oder epibulbären Neoplasie, können zu glaukomartigen Symptomen führen. Hierbei werden in den meisten Fällen, je nach Ursache und Ausprägung, Exophthalmus, Nickhautvorfall, gerötete Konjunktiven und/oder Expositionskeratitis festgestellt. Der IOP liegt dabei aber im Normalbereich. Retrobulbäre Prozesse können in den meisten Fällen durch Ultraschall oder anhand von Röntgenaufnahmen ausgeschlossen werden.

 

 

Bezüglich der Linsentrübung im linken Auge lassen sich Differentialdiagnosen nur in Bezug auf die Ätiologie stellen, die sich aber aufgrund des Vorberichtes nicht verifizieren lassen:

 

1.    angeborene Katarakt

2.    erworbene Katarakt:

a)      Cataracta traumatica

b)      Cataracta diabetica

c)      Cataracta complicata

 

 

VI. Ätiologie/Pathogenese

 

Unter dem klinischen Sammelbegriff Glaukom oder grüner Star versteht man eine ätiologisch uneinheitliche Gruppe von Augenerkrankungen, die mit einer Erhöhung des intraokularen Druckes einhergehen. Ist die Druckerhöhung Folge einer kongenitalen oder idiopathischen Abflußstörung des Kammerwassers, spricht man von einem Primärglaukom. Wurde die Druckerhöhung durch eine vorausgegangene oder bestehende Krankheit verursacht, handelt es sich um ein Sekundärglaukom.

Die Kardinalsymptome eines Glaukoms sind Rötung, weite Pupille und erhöhte Tension. Bei Chronizität oder intensiver Druckeinwirkung kann es zu Bulbusvergrößerung (Hydrophthalmus), Staphylom, Hornhautödem, Pseudouveitis, Irisatrophie, Subluxation der Linse und Fundusveränderungen wie Fundusödem, Excavation der Papille, Retinaatrophie oder Atrophie der Fundusgefäße kommen. Ein nicht behandeltes Glaukom führt meist innerhalb weniger Tagen zur Erblindung.

 

Bei den meisten Primärglaukomen läßt sich mittels der Gonioskopie ein dysplastisches Ligamentum pectinatum (DLP) und ein enger Kammerwinkel nachweisen. Dabei ist das den Kammerwinkel überbrückende Ligamentum pectinatum breiter als normal angelegt und dadurch unvollständig perforiert. Obwohl diese Anomalien erblich bedingt sind, entsteht das Glaukom meist erst in fortgeschrittenem Alter, wobei zunächst nur ein Auge erkrankt. Prädisponiert für Goniodysgenesien sind vor allem Basset, Sibirian Husky, Bouvier, Beagle, Langhaardackel und Shi-Tzu.

Einige Primärglaukome basieren auf angeborenen Anomalien der Strukturen der vorderen Augenkammer, wie z.B. schlaffe Zonulafasern, abgeflachte Iris oder Hypoplasie der vorderen Bulbusabschnitte.

Selten sind Offenwinkel-Primärglaukome. Hierbei ist die Anatomie des Kammerwinkels normal, es kommt aber dennoch aus bisher unbekannten Ursachen zu Abflußstörungen. Es sind immer beide Augen betroffen.

 

 

VI. Therapie

 

Die Therapie eines Glaukoms richtet sich zunächst nach dem Stadium der Erkrankung. Bei akutem Glaukomanfall (IOP über 50 mm Hg) ist eine sofortige, medikamentelle Notfall-therapie mit osmotischen Diuretika wie Mannitol einzuleiten. Hierbei sollten einmalig
1 – 2 g/kg KGW intravenös als Infusion (maximal 0,3 g/kg pro Stunde) verabreicht werden, um der akuten Gefahr eines absoluten Glaukoms vorzubeugen.

Die mittel- bis langfristige, medikamentelle Glaukomtherapie kann lokal, systemisch oder kombiniert erfolgen. Als topisch anzuwendene Medikamente werden einerseits miotisch wirkende Parasympathomimetika wie Pilocarpin, Physostigmin und Neostigmin sowie andererseits kammerwasserreduzierend wirkende ß-Adrenolytika wie Timolol, Betaxolol, Metipranolol und Carteolol angewandt.
Carboanhydrase-Hemmstoffe wie Acetazolamid und Diclofenamid werden systemisch zur Reduzierung der Kammerwasserproduktion eingesetzt.

 

Eine weitere Therapiemöglichkeit sind chirurgische Eingriffe, die entweder zum verbesserten Abfluß des Kammerwassers oder zur Reduzierung der Kammerwasserproduktion führen. Sie werden bevorzugt bei noch bestehender Sehfähigkeit eingesetzt:

a)   Beim Anlegen einer Kammerwasserdrainage bildet ein dünner, biegsamen Schlauch eine künstliche Verbindung zwischen der vorderen Augenkammer und dem subkonjunktivalen oder periorbitalen Raum.

b)   Bei der Zyklokryotherapie wird ein Teil des Ziliarkörpers durch Kälteeinwirkung in Form von flüssigem Stickstoff oder Stickoxid verödet. Dadurch wird die Produktion des Kammerwassers in diesem Abschnit unterbunden. Derselbe Effekt kann auch durch Anwendung von Hitze in Form von Laserstrahlen (transsklerale Zyklokoagulation) oder durch eine hochfrequente Ultraschallbehandlung erzielt werden.

 

Ist das betroffene Auge bereits erblindet, ist eine Entfernung des Bulbus bzw. Teilen davon in Betracht zu ziehen:

a)   Bei Sekundärglaukomen, die durch einen Tumor, eine Infektion, ein tiefes Corneaulcus oder eine hochgradige Entzündung des inneren Auges entstanden sind, sollte der gesamte Bulbus durch Enukleation entfernt werden.

b)   Eine weitere Möglichkeit ist die Eviszeration des Augeninneren, wobei nur Glaskörper, Netzhaut, Linse und Uvea entfernt werden. Cornea, Sklera und die Nebenorgane bleiben erhalten. Anschließend muß allerdings auf jeden Fall ein Silikonimplantat eingebracht werden. Bei Tumor, Infektion und tiefem Corneaulcus ist diese Behandlung kontraindiziert.

c)   Die chemische Verödung des Ziliarkörpers durch intravitreale Gentamycin-Injektion
(25 - 30 mg) bewirkt eine Reduzierung der Kammerwasserproduktion. Diese Behandlungsmethode sollte aber nicht bei Vorliegen einer Infektion oder Entzündung vorgenommen werden. Hierbei empfiehlt sich die Bulbusenukleation.

 

Da in den meisten Fällen das andere Auge auch zur Ausbildung eines Glaukomes neigt, sollten hier prophylaktisch Medikamente wie Timolol, Diclofenamid oder Ecothiopatjodid gegeben werden.

 

 

VII. Prognose

 

Die Prognose bezüglich des Lebens und der Genesung ist als günstig einzustufen, bezüglich der Wiederherstellung des rechten Auges jedoch als infaust.

 

 

IX. Epikrisis

 

Der Hund "x" wurde aufgrund des Verdachtes auf ein Glaukom im rechten Auge in die Klinik für kleine Haustiere überwiesen. Nach der Einstellungsuntersuchung konnte der Befund des zuvor behandelnden Haustierarztes bestätigt werden. Auf Wunsch der Besitzerin sollte das rechte Auge aus kosmetischen Gründen erhalten bleiben. Dies konnte durch die angewandte Operationstechnik (Eviszeration des Bulbus mit Einbringung eines Silikonimplantates) erreicht werden. Der Heilungsverlauf nach der Operation war sehr gut, das Implantat wurde ohne Komplikationen angenommen. Dennoch sollten weitere Kontrollen in zwei- bis dreimonatigen Abständen durchgeführt werden.

Aufgrund der angeborenen Goniodysgenesie sowie der bereits vorliegenden Linsentrübung im linken Auge sollte auch hierfür eine regelmäßige Kontrolle erfolgen, um eine eventuelle Glaukombildung bzw. Einschränkung der Sehfähigkeit frühzeitig erkennen und ggf. mittels der bereits beschriebenen Therapien behandeln zu können.

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