Rind-11 - Chondrodystrophie fetalis (Bulldog Kalb), Brachygnathia superior, Cheiloschisis superior

 

                                               Krankheitsbericht

 

 

 

 

I. Vorbericht:

 

 

Das Tier hat Mißbildungen seit der Geburt. Das Kalb ist zu klein, der Schädel ist zu kurz und es ist übermäßig bemuskelt.

 

 

II. Kennzeichnung:

 

 

Tierart                                     Rind

 

Rasse                                      DFV / DRB

 

Geschlecht                               weiblich

 

Kennzeichnung             Das Tier trägt zwei Ohrmarken im linken und im rechten Ohr: eine gelbe Plastikmarke und eine Metallmarke mit der Nummer x und x

 

Alter                                        Das Kalb ist 4 Wochen alt.

 

Gewicht                                   Das Gewicht wird durch den Untersucher auf etwa 50 kg geschätzt.

 

 

III. Klinische Untersuchung:

 

 

1. Allgemeiner Gesundheitszustand

 

Habitus: Das Kalb liegt in Brustseitenlage und ist wach. Beim näheren Herantreten zeigt es sich mit lebhaftem Ohrenspiel aufmerksam an seiner Umgebung teilnehmend. Der Körperbau zeigt abnormale Proportionen der Körperteile untereinander. Der Entwicklungszustand des Patienten entspricht nicht dem gleichaltriger, gesunder Kälber. Ernährungszustand und Pflegezustand sind als gut zu bezeichnen.

 

Die Körpertemperatur liegt bei 38,7 ° C.

 

Die Körperoberflächentemperatur ist gleichmäßig. An den Gliedmaßen und an den Ohren etwas kälter als am Rumpf.

 

 

2. Spezielle äußere Untersuchung

 

Haut und Haarkleid:

Das Haarkleid ist geschlossen, dicht und liegt in einer Haarlänge von etwa 2 cm dem Körper an. Das Kalb ist sauber und nur an der Afterumgebung und an der rechten Seite des Hinterschenkels mit etwas Kot verschmutzt.

Die Untersuchung der Haut auf Dicke, Elastizität, Feuchtigkeit, Farbe, Verdickungen oder Zusammenhangstrennungen und die Prüfung des Hautturgors an Hals und Rippen ergibt keinen besonderen Befund. Juckreiz ist weder spontan vorhanden noch auslösbar.

 

Schleimhäute:

Die Maulschleimhaut ist feucht, glatt, glänzend und von grau - rosa Farbe. Der untersuchbare Anteil der ebenfalls feuchten, glatten und glänzenden Nasenschleimhaut ist von rosaroter Farbe. An den Lidbindehäuten ist die Farbe verwaschen blaßrosa, wobei die Gefäße deutlich injiziert sind.

 

Augen:

Die Augen sind geöffnet und klar. Der Pupillenreflex ist auslösbar und wird, einseitig ausgelöst, beidseitig beantwortet.

 

Lymphapparat:

Bei der anschließenden Untersuchung der Lymphknoten sind speziell die des Kopfes nicht fühlbar. Bie Buglymphknoten sind etwa 4 cm lang, von glatter Oberfläche und fester Konsistenz. Sie sind unter der Haut verschieblich und nicht schmerzhaft.

 

Zirkulationsapparat:

Die Untersuchung des Zirkulationsapparates ergibt: Der Puls liegt bei 84 Schlägen in der Minute. Die Arterie, untersucht wurde die A. faciales, ist gut gefüllt und straff gespannt. Die Venenstauprobe verläuft beidseitig negativ, das heißt, die Vene läßt sich gut stauen und das Blut fließt nach Aufheben der Stauung leicht ab. Die Kapillaren lassen sich durch die Prüfung der kapillären Füllungszeit an der Maulschleimhaut und durch einen Blick auf die Episkleralgefäße beurteilen. Ersteres ergibt eine kapilläre Füllungszeit von 2 Sekunden. Die Episkleralgefäße sind scharf gezeichnet und es sind rötliche Bahnen erkennbar.

 

Ein deutlicher Herzstoß ist im Bereich der vierten Rippe auf der linken ventrolateralen Brustwand fühlbar. Die Perkussion ergibt ein Feld relativer Herzdämpfung von Handtellergröße. Dieses Feld liegt im dritten bis fünften Interkostalraum etwa auf Höhe der sechsten Rippen - Rippenknorpelverbindung. Die Auskultation des Herzes ergibt eine Frequenz von 84 Schlägen pro Minute bei kräftiger Intensität und regelmäßiger Folge.

 

Atmungsapparat:

Die Untersuchung des Atmungsapparates ergibt eine physiologische Atemfrequenz von 29 Atemzügen pro Minute. Die Atemzüge sind gleichmäßig und tief von costoabdominalen Typ.

Die Nasenumgebung ist trocken. Husten ist während des Untersuchungszeitraumes nicht zu vernehmen. Durch Zusammendrücken der Gießkannenknorpel ist auch kein Husten auslösbar. Aus beiden Nasenlöchern strömt bei der Exspiration angewärmte Luft mit gleicher Stärke und stallspezifischem Geruch. Der Brustkorb ist längsoval und symmetrisch. Die Bewegung der Brustkorbwände bei der Atmung sind gleichmäßig und links und rechts gleichzeitig und gleich stark. Die Lungengrenzen liegen im physiologischen Bereich. Die obere befindet sich in der Höhe der zwölften Rippe, die mittlere im Bereich der neunten Rippe und die untere im Bereich der sechsten Rippe. Die Auskultation der Lunge ergibt ein hörbares inspiratorisches Atemgerausch. Rassel- und Reibegeräusche sind nicht zu hören.

 

Verdauungsapparat:

Die Untersuchung des Verdauungstraktes beschränkt sich bei einem so jungen Tier, bei dem aufgrund seines Alters die Vormägen noch nicht voll ausgebildet sind, auf die Anamnese, die Betrachtung der Mundhöhle und des Schlundes, die Auskultation des Darmes sowie die Betrachtung des Kalbes auf Veränderungen der Symmetrieverhältnisse des Abdomens. Über den Appetit und den Kotabsatz kann ich nichts sagen, da das Tier während der Untersuchung weder Kot abgesetzt noch gefressen hat. Bei der Betrachtung des Ober - und Unterkiefers fällt auf, daß der Oberkiefer um etwa 3 cm kürzer ist als der Unterkiefer. Die Mundhöhle ist frei von fremden Inhalt, Speichel wird dem Aussehen nach normal gebildet und abgeschluckt. Die Oberlippe des Flotzmaules weist in ihrer Mitte einen Spalt auf. Die Zunge ist frei beweglich und frei von Auflagerungen. Die Zähne stehe in Reihe und das Zahnfleisch ist zurückgezogen. Der Schlund ist adspektorisch und palpatorisch unauffällig. Das Abdomen ist symmetrisch, die Bauchdecke ist mäßig gespannt. Eine vermehrte Füllung oder etwaige Schmerzhaftigkeit des Labmagens oder der Vormägen liegt nicht vor. Die Auskultation des Darmes bleibt ohne besonderen Befund. Die Leber ist hinter dem rechten Rippenbogen nicht palpierbar und es ist durch Druckpalpation im Bereich der perkutorisch ermittelten Leberdämpfung kein Schmerz auslösbar.

 

Harn - und Geschlechtsapparat:

Der Nabel ist als flache Narbe palpierbar. Er ist trocken und weder schmerzhaft noch vermehrt warm. Für eine Nabelentzündung oder Nabelbruch liegen keine Anzeichen vor.Das Kalb setzte während der Untersuchung einen wäßrigen, gelblichen Harn von unauffälligem Geruch ab. Auch die Untersuchung des Geschlechtstraktes ergibt keine unphysiologischen Befunde.

 

Bewegungsapparat:

Bei der Untersuchung des Bewegungsapparates fällt das langsame und bedächtige Aufstehen auf, dessen Ursache an den Vordergliedmaßen zu finden ist. Bei der Adspektion fällt eine Stellungsanomalie der beiden Vorderbeine auf. Die Beine sind nach außen gekrümmt. Hier ist auch die Muskulatur überproportional zur Größe des Kalbes und zur Länge der Gliedmaßen ausgebildet. Die Bewegung der Vordergliedmaßen erscheinen steif und abgehackt. Die Palpation ergibt keine schmerzhafte Veränderungen. Der Zwischenklauenreflex ist vorhanden. Auch ist der Stellungsreflex hinten gut ausgeprägt und vorne den Veränderungen entsprechend.

 

Nervensystem:

Das Verhalten ist aufmerksam und ruhig. Oberflächen - und Tiefensensibilität sind vorhanden. Korneal -, Lid -, Pupillen -, Schwanz - und Analreflex sind auslösbar.

 

 

3. Spezielle Innere Untersuchung

 

entfällt.

 

 

4. Weitere Untersuchungen

 

Zur genaueren Abklärung sind die Schädel - und Vorderbeinveränderungen röntgenologisch untersucht worden. Die Auswertung der Bilder hat einen zu kurzen Oberkiefer und Epiphysenfugenveränderungen gezeigt. Bei diesem 4 Wochen alten Tier waren die Epiphysenfugen am distalen Humerus und an der Radius sowohl proximal wie auch distal beidseitig geschlossen.

 

 

IV. Diagnose:

 

 

1. Chondrodystrophie fetalis ( Bulldog Kalb )

2. Brachygnathia superior

3. Cheiloschisis superior

4. Mikromelie

 

 

V. Differentialdiagnose:

 

 

Rachitis:

 

Dieser Form der Erkrankung tritt im Zusammenhang mit ungenügender Zufuhr ( mit der Nahrung ) an Phosphor, Kalzium oder Vitamin D auf, häufig ist gleichzeitig eine erhöhte Kaliumzufuhr zu beobachten. Dieses führt bei Jungrindern und Kälber zu einer hyperplastischen Osteodystrophie. Bei Kälbern tritt die Erkrankung schon kurze Zeit nach der Mangelsituation ein, in der Regel im zweiten bis fünften Monat. Sie geht mit Auftreibungen der

Epiphysen, Verdickung der Rippenenden sowie mit Stellungsanomalien und Verkrümmungen der Gliedmaßen einher. Es wird kein Kalk in den neugebildeten Knorpel eingelagert und so entsteht eine verbreitete Epiphysenfuge. Dies ist mit den Röntgenbefunden auszuschließen.

 

Osteomalazie:

 

Die Krankheitsursache ist hierbei gleich wie bei Rachitis. Es sind allerdings nur erwachsene Tiere betroffen. Bei Kälbern ist dieses Krankheitsgeschehen nicht bekannt und scheidet in diesem Falle also aus.

 

Manganmangel:

 

Manganmangel führt bei trächtigen Rindern häufig zu Aborten oder zur Geburt lebensschwacher Kälber. Diese zeigen eine Entwicklungshemmung, rauhes, trockenes Haarkleid und Knochenauftreibungen an den Gelenken der Gliedmaßen, eine sogenannte Arthrogryposis mit Vorbeinigkeit und Einwärtsdrehung vom verdickten Karpalgelenk. Daneben ist auch noch die Wirbelsäule mitbetroffen ( Torticollis ). Außerdem sind bei dieser Krankheit die Oberschenkelknochen verkürzt und brechen leicht. All diese Symptome bis auf die verkürzten Oberschenkelknochen treffen auf den Patienten nicht zu.

 

Crooked calf syndrom:

 

Diese Erkrankung wurde in den USA festgestellt. Hier stellte man den Zusammenhang mit einer Lupinenfütterung im 2 - 3 Trächtigkeitsmonat und der Geburt von mißgebildeten Kälber fest. Die Kälber zeigen hierbei verkrümmte Wirbelsäulen und Gliedmaßen oder es kommt zur Bildung von Gaumenspalten. Den Kälber fehlt jede Möglichkeit zu stehen bzw. zu gehen. Somit können sie nicht an die Tränke. Diese Kälber werden nicht aufgezogen. Mein Patient hat keine Beeinträchtigungen beim Stehen gezeigt und er konnte sich auch problemlos bewegen. Damit scheidet auch diese Möglichkeit aus.

 

Hydrocephalus:

 

Hierbei handelt es sich um eine liquorgefüllte Erweiterung der Seitenventrikel ( Hydrocephalus internus ) bzw. des Arachnoidalraumes ( Hydrocephalus externus ). Die betroffenen Kälber zeigen Inkoordination der Bewegungen, Krämpfe der Gliedmaßenmuskulatur oder Schädel-

deformationen und unterschiedlicheGrade von Stupidität. Da all diese Symptome bei dem Patienten nicht vorzufinden sind und palpatorisch die Schädeldecke geschlossen ist scheidet auch diese Möglichkeit aus.

 

Hypopituitarismus:

 

Bei Rinderfeten kommt eine Aplasie der Adenohypophyse manchmal vor. Trotz der verlängerten Tragezeit bleiben die Feten klein und zeigen am Hirnschädel offene Fontanellen und Nähte. Die kurzen und in den Gelenken extrem beweglichen Extremitäten tragen verhältnismäßig große Klauen Die Verknöcherungskerne der Röhrenknochen sind klein. Auch diese Krankheit kommt mangels Symptomen bei dem Patienten nicht in Frage.

 

Hypothyreose:

 

Ursache ist ein Jodmangel beim Muttertier der zu einer Struma beim Jungtier führt. Der sporadische Kretenismus kann auf einer primären Hypothyreose oder auf einer sekundären Hypothyreose beruhen. Begleitsymptome des hypothyreotischen Zwergwuchses sind das Myxödem, erhöhte Serumcholesterinwerte und vielfach eine Anämie. Auch diese Möglichkeit ist auszuschließen wegen den schon erwähnten Gründen.

 

 

 

 

 

 

VI. Prognose:

 

Da eine Therapie in einem solchen Fall aus medizinischen Gründen nicht möglich ist und so ein Kalb sich weder für die Mast noch für andere Verwendungen eignet , ist die Prognose sehr schlecht. Von daher ist eine weitergehende Fütterung für den Landwirt uninteressant und das Tier wird normalerweise der Verwertung zugeführt werden.

 

 

VII. Therapie:

 

 

Für Organmißbildungen dieser Art ist keine Therapie möglich.

 

 

VIII. Epikrise:

 

 

Das bei Menschen und Tieren vorkommende, auch als Achondroplasie oder Chondrodystrophia fetalis bezeichnete, rezessive, dominante oder als Neumutation auftretende Leiden ist das häufigste und vielgestaltigste Erbleiden des Stützgewebes. Kennzeichen der Chondroplasie sind die Störung der Knorpelzellproliferation und - differenzierung sowie eine gestörte Synthese der Knorpelmatrix. Die Ausprägung reicht von leichten, abortiven Formen mit vermindertem Längenwachstum bis zum unproportionalen, chondroplastischen, nicht lebensfähigen Zwergwuchs. Das chondroplastische Merkmal wird darüber hinaus zu unterschiedlichen Zeiten der embryonalen Entwicklung realisiert, so daß die Chondroplasie am gesamten Skelett manifestiert wird oder nur auf einzelne Skelettabschnitte begrenzt vorkommt. Oft wird diese Mutation von anderen Krankheitsbilder und Mutationen, wie die Hasenscharte, begleitet.Bei dieser Krankheit ist es typisch, daß die Epiphysenfugen schon, wie beim Patienten,mit vier Wochen geschlossen sind. Die enchondrale Ossifikation geht zurück und die Knochen wachsen nicht in die Länge aber in die Breite. Da der Körper unproportional weiter wächst ist unweigerlich mit Gelenks - und Bewegungsstörungen zu rechnen. Spätestens dann muß das Tier aus tierschützerischen Gründen der Verwertung zugeführt werden. Die Eltern solchen Kälber sollten keinesfalls zur Zucht weiter verwendet werden, bei rezessivem Erbgang gilt das für beiden Elterntiere, bei vorliegen eines dominanten Erbfehlers für den betroffenen Elternteil.

Nach Aussage von Herrn x darf mein Patient bis zum Eintreten der Wachstums -

probleme in der Klauentierklinik der FU Berlin ein tiergerechtes Leben führen.

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