Hund-21 - Oberkiefer-Caninus-Alveolen-Fraktur

 

 

 

Untersuchungsauftrag:                        Untersuchung und chirurgische Versor-gung eines Hundes nach einer Biß-verletzung.

 

 

Klinik-Nr.:                                         x

Tag der Einlieferung:                          XXX

Tag der Untersuchung :                      XXX

                                                        

Besitzer:                                            Hr. X aus Y

Behandelnder Tierarzt:                       XXX

 

Anamnese:

 

Der Hund wurde ca. eineinhalb Stunden vorher von einem Wildschwein angegriffen. Der linke Caninus am Oberkiefer ist aus der Alveole herausgebrochen und zeigt nun in rostro-labiale Richtung. Zusätzlich weist er eine Hautverletzung an der rechten seitlichen Bauchwand auf.

 

Nationale:

 

Tierart:                                              Hund

Rasse:                                               Dachshund

Farbe:                                               saufarben

Geschlecht:                                       männlich, unkastriert

Alter:                                                 1991 geboren

Gewicht:                                            10 kg

Name:                                               XXX

Impfstatus:                                        aktuell

Entwurmung:                                     unbekannt

Herkunft:                                           Privat

Kennzeichen:                                     ohne

 

Allgemein-Untersuchung:

 

Habitus:                                             das Allgemeinbefinden ist ungestört.

Haltung:                                             der Art entsprechend

Verhalten:                                          unruhig, aufmerksam

Ernährungszustand:                            gut

Pflegezustand:                                   gut

Schleimhäute:                                    rosa

Atmung:                                            24 / min

Temperatur:                                       38,7 ° C.

Puls:                                                  80 / min

Spezielle Untersuchung:

 

Haarkleid, Haut, Unterhaut:

 

- Haarkleid:               der Rasse entsprechend

- Haut:                      physiologischer Hautturgor; eine ca. 5 x 5 cm große, oberflächliche Rißwunde der Haut an der rechten Bauchwand ohne Beteiligung der darunterliegenden Muskelschichten.

- Unterhaut:               wenig Unterhaut-Fettgewebe

 

 

Lymphapparat:

 

- Lnn. Mandibularis:                       ca. 0,5 cm groß, derb, gut abgrenzbar, verschieblich, nicht schmerzhaft

- Lnn. Cervicales superficiales:       ca. 0,5 cm groß, derb, gut abgrenzbar, verschieblich, nicht schmerzhaft   

- Lnn. Poplitei:                               ca. 0,7 cm groß, derb, verschieblich, nicht schmerzhaft

 

Zirkulationsapparat:

 

- Episkleralgefäße:     fein gezeichnet

- KFZ:                      prompt

- Puls:                       80 / min, gleichmäßig, kräftig, Gefäße gut gefüllt und gespannt

- Herz:                      Herzspitzenstoß geringgradig Sichtbar und deutlich palpierbar;

Herztöne kräftig, gut abgesetzt, gleichmäßig; respirat. Arrhythmie; keine Herzgeräusche

 

Respirationstrakt:

 

- Atemfrequenz:        24 / min

- Atmungstyp:           costo-abdominal

- Atemrhythmus:       gleichmäßig, regelmäßig

- Atemgeräusche:      broncho-vesikulär

- Lungenschall:          physiologisch

- Nasenspiegel:          feucht, mäßig kühl

- Husten:                   nicht auslösbar, nicht spontan

 

 

 

 

Digestionsapparat:

 

Futteraufnahme:        seit dem Vorfall noch keine Futteraufnahme

Wasseraufnahme:      seit dem Vorfall noch keine Wasseraufnahme

Kotabsatz :               seit dem Vorfall noch kein Kotabsatz

Mundhöhle:               - ggrd. Zahnstein

-         linker Caninus des Oberkiefers ist aus der Alveole herausgebrochen; Verbindung mit Gingiva nur noch labial; Zahn steht in rostrolabialer Richtung ab;

Abdomen:                 - Adspektion: klaffende Hautwunde an der rechten lateralen Bauchwand; sonst unauffällig;

-         Palpation: angespannt

 

 

Harn- und Geschlechtsapparat:

 

- unkastriert

- sonst unauffällig

 

 

Bewegungsapparat:

 

- Adspektion:        der Patient belastet alle vier Gliedmaßen und läuft lahmheitsfrei

 

- es wurden keine weiteren Untersuchungen durchgeführt, da keine Hinweise auf eine Störung festgestellt wurden.

 

 

Nervensystem:

 

- Bewußtsein und Verhalten:        o.b.B.

- Motorik:                                  keine Störungen feststellbar

- es wurden keine weiteren Untersuchungen durchgeführt, da bei diesem

   Patienten keine Hinweise auf neurologische Störungen vorliegen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Weiterführende Untersuchungen:

 

 

Röntgen-Untersuchung:

 

- Es wurde eine Aufnahme des Kopfes mit latero-lateralem und eine des Oberkiefers mit dorso-ventralem Strahlengang und in die Mundhöhle eingelegter Röntgenkassette angefertigt. Beide Aufnahmen wurden in Narkose durchgeführt.

- Auf beiden Aufnahmen ist eine Caninus-Alveolen-Fraktur im linken Oberkiefer zu erkennen; weitere pathologischen Befunde sind nicht feststellbar.

 

 

Diagnose:

 

 

- rechtsseitige Oberkiefer-Caninus-Alveolen-Fraktur

- oberflächliche Rißwunde an der rechten lateralen Bauchwand

 

 

Differentialdiagnosen:

 

 

Aufgrund des klinischen Symptoms: nach rostro-labial stehender, aus der Alveole herausgerissener Caninus könnte es sich auch um eine primäre, traumatische Zahnfraktur oder auch um einen Oberkieferbruch im Bereich des Caninus handeln. Dies konnte jedoch durch die klinische Untersuchung (Oberkiefer adspektorisch und palpatorisch unauffällig, nicht schmerzhaft; Caninus ohne Fissuren; keine Zahntrümmer vorhanden) und speziell durch die Befunde der röntgenologischen Untersuchung (keine Frakturen im Zahn oder Oberkiefer vorhanden) ausgeschlossen werden.

 

Der Vorbericht, das akute Auftreten der Symptomatik nach dem und die klinische Untersuchung ( keine Gewebeveränderungen im Bereich des Caninus; keine Sekretion; kein Geruch) lassen einen chronischen Prozeß, wie z.B. eine Entzündung der Zahnwurzel, unwahrscheinlich erscheinen.

 

Aufgrund der Eindeutigkeit von Vorbericht und Symptomatik entfallen Differentialdiagnosen für die Rißwunde an der rechten lateralen Bauchwand.

 

 

Therapie:

 

 

Da der Besitzer den Caninus erhalten haben will, wird eine Reposition des Zahns mit Hilfe einer Draht-Cerclage durchgeführt. Als Alternative wäre eine Zahn-Extraktion in Frage gekommen.

 

Aufgrund der Größe (5,5 x 5,0 cm), des weiten Aufklaffens und der möglichen Kontamination mit Keimen muß die Wunde chirurgisch versorgt werden.

 

Für beide Eingriffe ist eine Narkose sinnvoll, damit eine exakte, ungestörte und schmerzfreie Versorgung gewährleistet ist. Da die Allgemein-Untersuchung keine Beeinträchtigung der Kreislauf- und Respirationsorgane ergab und der Hund nüchtern ist, kann die Operation ohne spezielle präoperative Behandlung bzw. ohne besondere Anästhesieverfahren sofort durchgeführt werden.

 

Für eventuelle Notfallsituationen während der Narkose bekommt der Patient einen Verweilkatheter in die V. cephalica.

 

1.) Narkose:

 

Die Narkose-Einleitung erfolgt durch eine intravenöse Applikation von Diazepam (Ataraktikum, Dosierung: 0,5 – 1,0 mg/kg Körpergewicht i.v.) und Propofol (Hypnotikum, Dosierung: 2 – 4 mg/kg Körpergewicht i.v.).

 

Diazepam gehört zu den Tranquilizern und hat neben sedierender und hypnotisierender auch eine antikonvulsive  und muskelrelaxierende Wirkung.

 

Propofol wirkt sehr rasch und kurz, kumuliert nicht, wirkt nicht analgetisch und kann dosisabhängig zu Atemdepression führen.

Propofol ist den Thiobarbituraten vorzuziehen, da es keine arrhythmogene Potenz besitzt.

 

Die eigentliche Narkose erfolgt in Form einer Inhalationsnarkose mittels Trachealtubus mit einem Gemisch aus Lachgas und Sauerstoff (Verhältnis 2:1) und Isofluran (Einleitung: 1,5 – 3,5 Vol%; Erhaltung: 0,6 – 1,5 Vol%).

 

Durch die Inhalationsnarkose ist die Anästhesie schonender und besser steuerbar als durch eine alleinige Injektionsnarkose.

 

Isofluran hat aufgrund eines niedrigen Blut-/Gas- Verteilungskoeffzienten  eine rasche Einleitung und Elimination. Es senkt den arteriellen Blutdruck, erhöht die Herzfrequenz und wirkt negativ inotrop.

 

Lachgas ist ein schwaches Anästhetikum, das zur Supplementierung von Isofluran eingesetzt wird, dessen Dosis dadurch reduzierbar ist.

 

Da durch die bisher genannten Medikamente keine ausreichende Analgesie erreicht wird, bekommt der Patient zusätzlich während der OP Piritramid (Dosierung im Perfusor: 0,1 mg/kg KG pro Stunde), Alfentanil (Dosierung im Perfusor: 0,2 mg/kg KG pro Stunde) und außerdem als Chemotherapeutikum Cephazolin i.v. (Dosierung: 25 mg/kg KG 2x täglich).

 

2.) Operation:

 

I.)                Wundresektion nach Bergmann

 

Zunächst wird die Wunde im Bereich der Bauchwunde großzügig geschoren und rasiert, mit Betaisodonaseife gewaschen und anschließend mit Alkohol gründlich gereinigt.

 

Der Hund wird in Seitenlage ausgebunden und das Operationsfeld durch mehrmaliges Abreiben zur Peripherie hin mit sterilen, in Desinfektionslösung getränkten Tupfern, desinfiziert.

 

Bei der Wundresektion nach Bergmann werden zunächst die Wundränder aufgefrischt, indem ein ca. 0,5 cm breiter Hautstreifen entlang der Wundränder mittels eines Skalpells abgetragen wird. Anschließend wird das Gewebe auf dem Grund der Wunde abgetragen.

Auf diese Weise erreicht man eine Keimverminderung auf mechanischem Wege und außerdem ist so ein Glätten der Wundoberfläche möglich. Dadurch wird die lokale Wundresistenz erhöht und die Heilung verbessert und beschleunigt.

 

Da bei der Naht ein Hohlraum entsteht, wird eine Drainage gelegt, um das Wundsekret nach außen abzulassen. Dazu wird an der tiefsten Stelle eine Gegenöffnung (durch einen ca. 1 cm langen Schnitt) mit Hilfe eines Skalpells angelegt und eine Penrose-Drainage eingelegt um die Gegenöffnung offenzuhalten und so den Sekretabfluß zu gewährleisten. Die Drainage wird an beiden Enden mit Hilfe einer Knopfnaht fixiert. Nun erfolgt die Hautnaht ebenfalls in Form einer Knopfnaht mit einem nichtresorbierbaren Prolene-Faden.

Abschließend wird die Naht mit einem Wundpflaster überklebt.

 

Bei der Wundversorgung nach Bergmann kann eine sekundäre Wundheilung nicht vermieden werden.

 

 

 

II.)             Fixation des reponierten Caninus mit Hilfe einer Draht-Cerclage

 

Der Patient wird in Rückenlage mit nach kaudal gezogenen Vordergliedmaßen ausgebunden. Der Zahn wird manuell reponiert und durch eine Cerclage fixiert. Um dem Verschieben des linken Caninus des Oberkiefers in labiale oder rostrale Richtung entgegenzuwirken, wird der Draht rostral um den Hals beider Oberkiefer-Canini und durch den Zwischenwurzelspalt des P2 im rechten Oberkiefer geführt. Um den Draht zwischen den Wurzeln des P2 durchführen zu können,  muß ein Bohrkanal gelegt werden. Dazu wird der Bohrer labial in der Mitte des Zahnes, ca. 3 mm ventral des Gingiva-Ansatzes, senkrecht zum Oberkiefer angesetzt. Anschließend wird der Draht hindurchgeführt und am Margo alveolaris in Höhe des P1 verdrillt.

 

Nach der Operation wird eine Röntgenkontrolle mit latero-lateralem und eine mit dorso-ventralem Strahlengang durchgeführt, um den Sitz von Zahn und Cerclage zu überprüfen.

 

 

3.) Postoperative Versorgung:

 

Der Patient wird bis zum Wiedererlangen seines Bewußtseins überwacht. Der Raum dafür sollte ruhig, abgedunkelt und warm sein, um Exzitationen und Auskühlung zu vermeiden.

Es erfolgt eine orale Chemotherapie mit Cefacolin (Dosierung: 25mg/KG 2x täglich) über mindestens vier Tage. Zusätzlich sollte in den nächsten Tagen die Körpertemperatur kontrolliert werden, um eventuelle Infektionen schnell zu erkennen. Das Wundpflaster kann bereits nach einem Tag, die Drainage – soweit die Wunde reizlos ist – nach vier Tagen entfernt werden. Falls der Patient an die Wunde geht, muß ihm ein Halskragen angelegt werden.

 

Die Lage der Cerclage sollte nach einer Woche überprüft werden. Sie kann nach Konsolidierung der Fraktur – i.d.R. nach ca. acht Wochen – entfernt werden.

 

 

 

 

 

Prognose:

 

 

Quoad vitam:                                                                 günstig

Quoad restitutionem:       bezüglich der Wunde:               günstig

                                      Bezüglich des Caninus:             zweifelhaft

 

 

 

 

Epikrise:

 

 

Der Patient kann, soweit keine Komplikationen auftreten, am zweiten Tag nach der Operation aus der Klinik entlassen werden.

 

Die Chemotherapie mit Cefazolin sollte durch den Besitzer 2x täglich bis zu einer Behandlungsdauer von mindestens vier Tagen fortgeführt werden.

 

Am vierten Tag sollte der Patientenbesitzer die Drainage ambulant entfernen lassen, sofern keine Exsudation mehr erfolgt.

 

Weiter sollte der Besitzer auf Probleme in der Maulhöhle oder bei der Futteraufnahme achten und im Zweifelsfall den Patienten erneut vorstellen.

 

 

 

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