Schaf-01 - Prolaps vaginae completus post partum

 

 

 

 

                                                       Krankheitsbericht

 

 

 

 

 

1. Signalement:

 

Bei dem vorgestellten Patienten handelt es sich um ein weibliches Schaf der Rasse Merino-Wollschaf . Rumpf, Gesicht und Extremitäten sind weißlich-gelb. Die Zangen, innere und äußere Mittelzähne und die Eckzähne sind vollständig gewechselt, weshalb das Schaf älter als vier Jahre geschätzt wird.

Im rechten Ohr befindet sich die gelbe Klinikohrmarke mit der Nummer; im linken Ohr fehlt eine Ohrmarke, statt dessen ist am kaudalen Rand ein bis zu vier Zentimeter großes Loch, in dem eine Ohrmarke gesessen haben könnte.

Das Körpergewicht des Schafes beträgt ungefähr 65 kg, die Schulterhöhe ca. 70 cm.

 

 

2. Anamnese:

 

Das Schaf wird mit einem Scheidenvorfall post partum vorgestellt.

 

 

3. Allgemeiner Gesundheitszustand:

 

Das Schaf steht gerade und aufrecht und belastet alle vier Gliedmaßen gleichmäßig. Es ist bei der Untersuchung angespannt, aber ruhig und setzt häufig Kot ab. Pflegezustand und Ernährungszustand sind als mäßig zu bezeichnen.

Bei der Untersuchung hat das Schuh eine Atemfrequenz von 92 Zügen pro Minute, die Herzfrequenz liegt bei 112 Schlägen in der Minute. Die Körperinnentemperatur beträgt 39,6°C; die Temperatur der Körperoberfläche ist gleichmäßig verteilt.

 

 

Haut und Haarkleid:

 

Die Haut ist ohne Läsionen und Auflagerungen und läßt sich gut von der Unterhaut abheben, die aufgehobene Falte verstreicht sofort. Die Wolle ist weißlich-gelb, geschlossen, gleichmäßig und dicht, allerdings sehr verschmutzt und stumpf. Die Haare von Kopf, Hals und Extremitäten sind kurz und ebenfalls dicht. Am Rücken ist das Schaf zwischen Kreuzbein und Schwanz in einem etwa 15 x 15 cm großen Bereich geschoren, die unterliegende Haut ist rosafarben.

 

Schleimhäute:

 

Die Schleimhäute des Maules sind blaßrosa-verwaschen, feucht, glatt, mäßig glänzend und ohne Auflagerungen. Die Augenschleimhäute sind ebenfalls blaßrosafarben, feucht und ohne Auflagerungen.

 

Lymphapparat:

 

Unterkieferlymphknoten, Buglymphknoten, Kniefaltenlymphknoten und Euterlymphknoten sind von außen gut auffindbar, von physiologischer Größe und fester Konsistenz, verschieblich und weder schmerzhaft noch vermehrt warm. Ohrspeicheldrüsen-und Retropharyngeallymphknoten konnten nicht ertastet werden.

 

Zirkulationsapparat:

 

An der A. facialis ist der Puls mäßig stark, gleichmäßig, regelmäßig und gut abgesetzt, die Arterie ist gut gefüllt. Die Vv. jugulares sind beiderseits gut anstaubar; die Qualität des Venenpulses kann wegen der dichten Wolle nicht beurteilt werden. Die kapilläre Füllungszeit liegt unter 2 Sekunden. Die Episkleralgefäße sind deutlich sichtbar und gut gefüllt. Die Auskultation des Herzens ergibt einen mäßig kräftigen, regelmäßigen, abgesetzten Herzschlag ohne Herz- und Nebengeräusche.

 

Respirationsapparat:

 

Das Schaf atmet hochfrequent-ungleichmäßig, unregelmäßig und mit deutlicher Behinderungen. Der Atmungstyp stellt sich als abdominal dar. Aus beiden Nasenlöchern tritt ein wässriges, weißliches, zuweilen schaumiges Sekret aus. Eine Lungenperkussion wird durch die dichte, verfilzte Wolle behindert und bleibt ohne besonderen Befund. Bei der Auskultation sind nasal, tracheal und pulmonal verschärfte reibende bis schnaufende Atemgeräusche besonders während der Inspiration hörbar. Bei Druck auf den Kehlkopf ist ein feucht-klingender Husten auslösbar.

 

Verdauungsapparat:

 

Appetit, Futteraufnahme, Schlucken und Wiederkauen im Stall sind ungestört. Der Kot ist dunkelbraun und bohnenartig geformt. Das Abdomen erscheint symmetrisch, die Bauchdecke ist palpatorisch locker. Die Auskultation des Pansens ergibt zwei kräftige Kontraktionen in zwei Minuten. Hinweise auf einen Fremdkörper in der Haube oder auf eine Verlagerung des Labmagens können nicht gefunden werden. Die Leberperkussion zeigt eine Dämpfung.

 

Harnapparat:

 

Während der Untersuchung versucht das Schaf oftmals, Urin abzusetzen, wobei es vermehrt preßt und mit den Hinterbeinen bis fast in hundesitzartige Stellung geht. Dennoch kann es nur tröpfelnd, nicht im Strahl absetzen.  

 

Scham:

 

Die Schamlippen sind vergrößert, hart und warm und deutlich rot. Über den unteren Schamwinkel laufen Urin und ein weißlich-gelbes, stinkendes Sekret ab. Durch die Schamlippen ist ca. handballgroß die Scheide vorgefallen, die verschmutzt und ebenfalls deutlich gerötet ist. Der Uterushals ist von außen nicht sichtbar.

 

Euter:

 

Die Adspektion ergibt ein symmetrisches Euter. Die Euterhaut ist vom Gewebe abhebbar, die Konsistenz des Eutergewebes ist derb und prallelastisch mit einigen Verhärtungen. Das Schaf ist auf beiden Zitzen anmelkbar, die Milch erscheint grobsinnlich in Ordnung.

 

Bewegungsapparat:

 

Die Gelenke der Gliedmaßen sind gleichmäßig, kühl und trocken. Hinten links zeigt das Schaf Spreizklauigkeit, die aber anscheinend unproblematisch ist. Der Zustand der Klauen muß als vernachlässigt angesprochen werden; die Klauen sind deutlich zu lang, z.T. ausgerissen und insbesondere im Sohlenbereich und zwischen den Klauen oberflächlich angefault. Dennoch bewegt sich das Tier ohne ein Anzeichen von Lahmheit.

 

Sinnesorgane:

 

In den medialen Augenwinkeln finden sich Spuren eingetrockneten Sekretes. Es lassen sich keine Hinweise auf eine gestörte Funktion der Sinnesorgane feststellen.

 

Nervensystem:

 

Es gibt keinen Hinweis auf nervale Ausfälle.

 

 

 

 

 

4. Weitergehende Untersuchungen:

 

 

4.1: Blutuntersuchung am 03. Januar 2001

 

·        Das Serum ist leicht hämolytisch.

·        Die relative Zahl an stabkernigen neutrophilen Granulozyten ist mit 2 % zu hoch.

·        Die relative Zahl an segmentkernigen neutrophilen Granulozyten ist mit 58 % zu hoch.

·        Die Lymphozyten sind mit 40 % zu niedrig.

·        Der Gehalt an Kalium-Ionen ist mit 3,50 mmol/l zu niedrig.

·        Der Gehalt an Chlorid-Ionen ist mit 122,00 mmol/l erhöht.

·        Mit 3,60 mmol/l ist der Harnstoffgehalt erniedrigt.     

 

 

5. Diagnosen:

 

 

5.1: Prolaps vaginae completus post partum:

 

5.2: Vaginitis et Cervicitis:

 

5.3: unspezifische Atemwegserkrankung:

 

 

 

6. Ätiologie:

 

 

6.1: Prolaps vaginae:

 

Der Scheidenvorfall kann durch mehrere Ursachen bedingt sein, in vielen Fällen treten aber folgende zwei Bedingungen isoliert oder zusammengenommen auf:

 

·        Eine übermäßige, östrogenbedingte Gewebsschwäche der Scheide mit Erschlaffung und Verlängerung der Beckenbänder als Aufhängeapparat, wobei die Gewebserweichung insbesondere im Bereich der Dammregion bestehen bleibt und bei erneuter Trächtigkeit wieder zu einem Vorfall führen kann. Als Gründe der Gewebsschwäche kommen vorwiegend hochträchtige Schafe in guter Kondition, ältere Tiere bzw. häufigere Lammungen, Calciummangel, östrogenreiches Futter wie z.B. Klee, östrogenproduzierende Zysten und erbliche Dispositionen in Frage. Auch ein zu kurz kupierter Schwanz – er sollte zumindest die Scham überdecken – kann die Stabilität des Bandapparates gefährden und so zu einem Vorfall der Scheide führen.

·        Durch den auf die Scheide einwirkenden intraabdominalen Druck kann es ebenso zum Vorfall kommen, wobei die Druckerhöhung zum einen intra partum durch einen mangelhaft geöffneten Zervikalkanal kommen kann, aber auch durch Pansenüberladung, Pansentympanie, Entzündungen von Scheide oder Mastdarm, zu große Früchte bzw. Mehrlingsträchtigkeiten insbesondere bei kleinen, kurzen Schafen, Hinterendlage der Lämmer, Streßexposition, „Hängenbleiben“ in zu engen Türen, zu häufiges Liegen z.B. infolge von Klauenerkrankungen oder ähnliches. Ebenso wirkt vermehrter Einsatz der Bauchpresse beispielsweise bei Schwergeburt, Kotabsatzbeschwerden, aber auch bei gestörter Atmung, begünstigend auf einen Scheidenvorfall.

 

Ein Auftreten post partum, wie im vorliegenden Fall, ist in den meisten Fällen ein Rezidiv eines Prolaps ante partums.

 

 

6.2: Vaginitis et Cervicitis:

 

Durch die durch den Scheidenvorfall bedingten Verschmutzungen kommt es zu einer aufsteigenden Infektion von Vagina und Cervix uteri, in schweren Fällen auch des Uterus, durch ubiquitäre Keime, aber auch durch Chlamydien und Mycoplasmen.

 

 

6.3: Unspezifische Atemwegserkrankung:

 

In vielen Fällen werden unspezifische Atemwegserkrankungen bei Schafen nicht nur von einer Keimart verursacht, sondern entstehen im Zusammenspiel mehrerer Erreger. Ursächlich ist hierbei in den meisten Fällen eine Virusinfektion mit Parainfluenza-, Reo- oder Adenoviren mit sekundärer bakterieller Infektion, z.B. mit Pasteurella haemolytica oder multocida, Actinomyces pyogenes, Staphylokokken, Streptokokken oder Neisserien. Auslöser des Krankheitsbildes kann Streß z.B. durch Transport, Geburt oder Schmerz sein.

 

 

7. Differentialdiagnosen:

 

7.1: Prolaps vaginae:

 

·        Prolaps uteri

·        Prolaps recti

·        Prolaps vesicae urinariae

·        Hämatome

·        Vorfall von paravaginalem Fettgewebe

·        Fruchtblasen

·        Granulationsgewebe

·        Tumore

 

7.2: Vaginitis et Cervicitis:

 

·        Oestrus

 

7.3: unspezifische Atemwegserkrankung:

 

·        Lungenwurmbefall

·        Adenomatose

·        Septische Pasteurellose

·        Pneumomykosen

 

 

8. Therapie:

 

Zur Reponierung des Scheidenvorfalls wird zunächst zwischen Kreuzbein und erstem Schwanzwirbel nach vorhergehender Schur des Gebietes eine Epiduralanästhesie mit 2%igem Lidocain durchgeführt.

Die vorgefallene Scheide und die Umgebung der Scham werden mit handwarmer Braunollösung gereinigt. Die vorgefallene Scheide wird unter sanftem Druck mit der geballten Faust zurückverlagert. Anschließend werden die Schamlippen mit einer U-Naht verschlossen, wobei der obere seitliche Durchstich unterhalb des oberen Schamwinkels, der untere im Bereich des unteren Schamwinkels, jedoch ausreichend tief, angelegt wird, ohne dabei die Harnröhre zu verletzen. Zur Verhinderung des Ausreißens der Naht wird der Faden seitlich der Labien durch zwei etwa 4-5 cm lange Gummiröhrchen, Durchmesser etwa 1 cm (Infusionsschlauch), geführt. Der Faden ist so zu knüpfen, daß die Schamspalte noch für 2-3 Finger passierbar bleibt. Als Faden wird Catgut in 5er- oder 6er-Stärke verwendet, der den Vorfall 2-3 Wochen zurückhält. Steht die Geburt noch bevor, reißt der Catgut-Faden dann unter der Geburt. Gegen die Schmerzen werden einmalig 3,5 ml Romifidin s.c., als Antibiose täglich 4 ml Baytril s.c. gegeben.

 

 

9. Prognose:

 

Bei der Prognosestellung hinsichtlich des Scheidenvorfalles muß der Grad des Vorfalls berücksichtigt werden. Ein habitueller Scheidenvorfall ist nur beim liegenden Schaf zu sehen, da er sich beim Aufstehen wieder zurückzieht; Komplikationen treten hier meist nicht auf. Anders sieht die Situation bei totalem Vorfall aus, da in diesem Fall der Vorfall auch beim Aufstehen erhalten bleibt; insbesondere bei längerdauerndem Prolaps kommt es zu Schäden und Entzündungen sowie zu Verschmutzungen mit Erde, Stroh, Kot oder Wasser, was wiederum zu Entzündungen führt, die weiterhin zum Tod, zur Schlachtung oder zur Sterilität führen können. Des weiteren folgen gegebenenfalls Harnabsatzstörungen infolge Abknicken der Harnröhre, Schwergeburten durch mangelhafte Öffnung der Cervix vaginae, Blasen- und Scheidenwandrupturen und eventuell dadurch bedingt Uterus- oder Rectumprolaps. Durch den gelockerten Aufhängeapparat kann ein Scheidenvorfall bei jeder noch folgenden Geburt wieder auftreten. Da zudem eine familiäre Disposition für das Symptom des Scheidenvorfalls angenommen wird, können auch die Lämmer davon betroffen sein, weshalb sie möglichst nicht zur Zucht einzusetzen sind; bei einem Verkauf muß auf die Disposition aufmerksam gemacht werden, da es sich bei dem Scheidenprolaps um einen erheblichen Vertragsmangel handelt.

 

Eine Prognose hinsichtlich der Cervicitis ist ungünstig, da eine verletzte bzw. vernarbte Cervix vaginae nur unzureichend schließt und somit ursächlich für erneute aufsteigende Endometritiden, aber auch für Infertilität sein können. Eine Behandlung ist aussichtslos.

 

Einer Nutzung des Schafes in der laufenden Laktationsphase steht nach Abklingen des Genitalkatarrhs prinzipiell nichts entgegen, ebenso einer Verwertung des Schafes durch Schlachtung, sofern die Wartezeiten der verabreichten Arzneimittel (Wartezeit für Lidocain in eßbarem Gewebe und Milch 5 Tage, für Baytril 7 Tage, für Romifidin 6 Tage) beachtet werden.

 

 

10. Epikrise:

 

Das Schaf mit der Klinikohrmarke x wird mit einem totalen Prolaps vaginae post partum vorgestellt. Infolge des Vorfalls liegt eine Vaginitis und Cervicitis vor. Das Schaf zeigt Störungen im Allgemeinbefinden, einen mäßigen Ernährungszustand und Schmerzen bei Berühren der Perianalgegend. Der Vaginalprolaps wird reponiert, das Schaf enthält Antibiotika und Schmerzmittel.

Eine weitere Beobachtung des Krankheitsverlaufes kann nicht erfolgen, da das Schaf dem Institut für Anatomie für die Situsdemonstrationen zur Verfügung gestellt und daher getötetet wird.

 

 

 

 

 

 

>